Haben Sie eine Ahnung davon, wie die jungen Menschen, denen wir in Bewerbungsgesprächen, Assessment-Centern und im beruflichen Alltag begegnen, ticken?
Wie sie als Eltern ticken, wenn sie ihren Kindern auf dem Spielplatz durch stundenlanges Vormachen das Rutschen beibringen? Wie sie ticken, wenn sie ein Smart-Car sharen und kein Interesse an einem eigenen Auto haben? Eine Generation, die nicht weiß, wer Herbert Wehner oder Hadschi Halef Omar waren, dafür in der Welt des Harry Potter groß geworden ist und dank der ausgiebig betriebenen Computerspiele im kleinen Finger mehr strategisches Gefühl hat als ein heute weißhaariger Manager am Ende seiner Berufskarriere?
Seien Sie ehrlich – so richtig wissen Sie und so richtig weiß auch ich es nicht. Wir müssen es aber wissen und wir sollten es auch, denn die „Generation Y“ – diesen Ausdruck haben Soziologen geprägt – ist eine sehr spannende, sie wird unsere Zukunft prägen und wir tun gut daran, uns mit ihr zu beschäftigen. Deshalb will ich mich ihr mit diesem Unternehmerbrief nähern.
Zu Anfang nun zwei Eindrücke:
Endlich hatte er ihn gefunden, den passenden Assistenten: jung, das richtige Studium, sehr gute Noten, interessante Praktika und erste Berufserfahrung. Besser konnte es für den Finanzchef gar nicht kommen, nachdem er vor wenigen Wochen seinen bewährten Gehilfen verloren hatte. Dieser hatte sich aus dem Unternehmen und einer nicht alltäglichen Karrierechance mit dem Hinweis verabschiedet, dass er seiner Lebensgefährtin, die ein Stipendium in Tokio erhalten habe, folgen wolle – ohne selbst in Japan einen Job oder eine Perspektive zu haben. Aber auch der potenzielle Nachfolger schockte ihn in der zweiten Runde des Auswahlgespräches: Er habe sich entschlossen, sagte dieser, nur halbtags arbeiten zu wollen. Das halbe Gehalt reiche für seinen Lebensunterhalt, und so könne er den anderen halben Tag „etwas Schönes“ machen. Wenn der Finanzchef damit einverstanden sei, käme er gerne in das Unternehmen.
Vor wenigen Wochen beklagte eine Personalchefin mir gegenüber, dass „die jungen Leute“ oft nicht bereit seien, 60 oder 70 Stundenwochen auf sich zu nehmen, wie das für sie selbstverständlich war (und oft heute noch ist). Sie sei, wie man sehe, diesen Weg erfolgreich gegangen. Was ist also los mit „den jungen Leuten“? Nur noch freizeitorientierte Schonhaltung, wie Helmut Kohl das mal bezeichnete? Nur noch digitale Kommunikation über Facebook, Twitter & Co und kaum direkte Kontakte? Was bewegt sie, treibt sie um, die Generation Y? Und die wichtigste Frage für Unternehmen und Leitungskräfte: Wie können wir die Menschen dieser Generation erfolgreich in unseren Organisationen führen, welche Herausforderungen lauern da für die Führungskräfte? Wird es gelingen, die „Unführbaren“ zu führen?
Vorweg eine Klarstellung: Nicht alle Menschen der sogenannten Generation Y (geboren zwischen 1985 und 2000) sind gleich, auch diese Generation ist so vielfältig wie die vorangegangenen, auch in ihr gibt es unterschiedliche Prämissen und Lebensentwürfe und (vielleicht sogar noch mehr als in vorangegangenen Generationen) Menschen, die für etwas brennen. Gleichwohl hat jede Generation ihre Trends, und die unterscheiden sich auch bei der Generation Y zumindest in einigen Punkten von vorangegangenen Generationen. Allen voran in ihrer Zahl: „Diese Generation hat die Macht der Wenigen“, schreibt Kerstin Bund, Redakteurin bei der ZEIT und Buchautorin. Nicht umsonst spricht man seit geraumer Zeit vom „war of talents“ – die Macht der wenigen wird bereits spürbar. Der Satz: „Wenn es Ihnen nicht passt, dann gehen sie doch, da draußen stehen 10 andere!“ hat keine Bedeutung mehr. Man macht die Tür auf, und da draußen steht – keiner.
Was will Generation Y nun?
Und was wollen die nun? Prof. Hurrelmann von der Hertie School of Governance beschreibt in seiner Forschung drei große Anliegen der Generation Y: Flexible Arbeitszeiten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine ausgewogene Work Life Balance (Der Spiegel 46/2014). Einer Umfrage von TNS Dimap zufolge steht ganz oben auf der Wunschliste finanzielle Absicherung (93 %, 1995 noch 78%), beruflicher Erfolg (86 % gegenüber 71 % in 1995) sowie sich schöne Dinge leisten können (73 %, 1995 noch 31 %) (Der Spiegel 46/2014). Offenbar doch nicht nur Hänge-matte, sondern durchaus Leistungsbereitschaft, aber zu ihren Bedingungen. Denn: Diese Generation hat oft miterlebt, wie sich die Eltern oder Großeltern-generation buchstäblich zu Tode geschuftet haben für Haus, Auto und Urlaub, und das wollen sie nicht. Kerstin Bund schreibt sinngemäß: „Wir wissen, dass wir sehr lange arbeiten müssen, und wir wollen da auch ankommen. Wir wollen auch jetzt schon auf unsere Kosten kommen, denn der Weg ist noch weit. Deshalb möchten wir schon auf dem Weg mal nach links und rechts sehen“. Der Aufschub von Wünschen mit dem Hinweis: „Wenn ich mal in Rente bin…“ kommt im Vokabular dieser Generation nicht vor, zumal es ungewisser denn je ist, ob sie überhaupt jemals eine Rente bekommt. Ihr geht es vielmehr auch um Lebensqualität in der Arbeit und nicht nur um Geld verdienen und Karriere. Sie wollen tun, was ihnen gut tut. Und viele können es sich auch leisten, auch dank der Werte, welche ihre Eltern erarbeitet haben und ihnen vererben werden.
Sicherheit steht für diese Generation an oberster Stelle. Sie sind in einen Wohlstand hineingeboren worden, fast alles war verfügbar. Hat die Großeltern- und Elterngeneration noch kriegerische Auseinandersetzungen bzw. deren Folgen hautnah miterlebt und so gelernt, mit Unsicherheit zu leben, so erlebt die Generation Y die aktuellen Krisen, es fehlt ihr aber das Rüstzeug, damit umzugehen. Sie haben viele Krisen wie 2001, 2009 und aktuell naher Osten und Ukraine zumindest peripher miterlebt und spüren deutlich, dass die Welt einer zunehmenden Veränderungsgeschwindigkeit unterworfen und nahezu nichts gewiss ist. Mit dem technologischen Wandel kommen die meisten zwar gut zurecht, vielem anderen stehen auch sie weitgehend macht- bzw. einflusslos gegenüber. Sie erleben, wie relativ Beschäftigungssicherheit ist, mit dem Begriff „Lebensstellung“ können die meisten wenig anfangen, und viele haben ihre Erfahrungen mit der „Generation Praktikum“ gemacht. Sicherheit ist relativ, das wissen sie, mindestens ein Gefühl der Sicherheit wird gewünscht. So ist sicher auch zu erklären, dass sich über ein Drittel der über 20 Jährigen eine Stelle im öffentlichen Dienst wünschen.
Die Wunschliste der Generation Y an Unternehmen
Blickt man auf Unternehmens- und Arbeitskontext, erkennt man an erster Stelle den Wunsch, Leben und Arbeit in Einklang zu bringen. Laut Kerstin Bund sieht die Wunschliste (oder vielleicht schon Forderungsliste?) an die Arbeitgeber wie folgt aus:
– mehr Flexibilität, insbesondere flexible Zeiteinteilung, und Freiräume,
– Arbeit, die Sinn stiftet,
– regelmäßiges Feedback,
– gute Führung,
und
– weniger Grenzen zwischen Beruf und Freizeit,
– weniger Senioritätsprinzip,
– großer Firmenwagen, reservierter Parkplatz oder Luxusbüro locken kaum oder gar nicht.
Da steckt Sprengstoff für die Organisation und Umdenken in der Führung drin! Neue, noch flexiblere Arbeitszeitmodelle sind gefragt, und die werden Konsequenzen auf die gesamte Synchronisation des Produktionsprozesses haben. „Wir wollen daran gemessen werden, was wir leisten und nicht daran, wann und wo wir es leisten“ (Kerstin Bund). Also droht der Abschied vom täglichen Köpfe zählen, und Vertrauen bekommt eine zusätzliche Dimension. Diese Generation hinterfragt alles und will wissen, warum. Nicht umsonst trägt sie auch den Namen „Generation why?“ Aussagen wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ werden nicht mehr auf Akzeptanz stoßen, denn was ich mache, muss Sinn stiften. Wenn das gewährleitet ist, so ist zu vermuten, werden auch (scheinbar) langweilige Routinearbeiten zuverlässig und engagiert erledigt. Aber eben nur dann. Die Sinnfrage wird sich auch auf die Auswahl der Arbeitgeber erstrecken, und wer in den Augen der Talente nichts sinnadäquates produziert oder keinen sinnvollen Job anzubieten hat, wird bei der Stellenbesetzung leer ausgehen: Da lauern viele Herausforderungen für Unternehmen und das Employer Branding!
Gute Führung wird gewünscht – nur was ist das? Chefs sollen nicht als Patriarchen auftreten, sondern mehr als Coach und Trainer fungieren. Das System von Befehl und Gehorsam ist weiter auf dem Rückzug und wird nur noch in besonderen Situationen akzeptiert – nachdem zuvor die Frage „why?“ gestellt wurde. Der langjährige Personalvorstand bei Lufthansa und Telekom, Thomas Sattelberger, geht davon aus, dass Mitarbeiter in naher Zukunft zunehmend mehr ihre Chefs auswählen werden – und weniger die Chefs ihre Mitarbeiter. Über Befragungen und Jahresgesprächen werden die Chefs bewertet, und diese werden nicht umhin kommen, sich mit diesen Beurteilungen veränderungs- bzw. entwicklungsorientiert zu beschäftigen. Dabei wird es nicht darum gehen können, den Mitarbeitern zum Munde zu reden, nein, wichtiger denn je wird die Persönlichkeit und die Überzeugungs-kraft der Vorgesetzten, denn die Generation fragt ja „why?“. Persönlichkeiten sind nach wie vor gefragt und werden akzeptiert. Vom Senioritätsprinzip allerdings hält diese Generation wenig, der Sitzfaktor spielt für sie keine Rolle, sondern das Wissen und Können. Im Gegenteil: Die Alten versperren oft die für sie interessanten Plätze, ohne dass diese ihre Position (nach ihrer Meinung) mit Leistungsqualität unterlegen können.
Anforderungen an Führungskräfte
Aber auch die Mitarbeiter wünschen sich Feedback, sie wollen wissen, woran sie sind, wie sie und ihre Leistungen gesehen werden. Das Verhalten „Nicht gemeckert ist schon gelobt“ hat jetzt endlich ausgedient. Gefragt sind Chefs, die ihre Mitarbeiter und deren Leistungen wahrnehmen, also sehen, darauf eingehen und eine fundierte Rückmeldung dazu geben. Das erfordert Zeit, Führungszeit, die heute oft noch weggespart wird und nicht zur Verfügung steht: So lange ich nichts höre, wird alles in Ordnung sein, heißt der Glaubenssatz. Diese Kontaktgestaltung im Feedback verlangt neben Zeit auch eine gewisse Nähe, eine sehr gut ausgebildete Kommunikationsfähigkeit sowie auch Konfliktbereitschaft. Wegducken gilt nicht. Wer dieses neue Führungsverhalten gut beherrscht und mit seiner besonderen Persönlichkeit verknüpft, wird die Mitarbeiter binden und sie zu guten Leistungen führen.
Auch die Motivationsfrage stellt sich neu. Wie bereits erwähnt ist mit Dienstwagen, reserviertem Parkplatz oder großem Büro kaum noch ein Blumentopf zu gewinnen: Im Bedarfsfall stellt mir car 2 go ein Auto zur Verfügung, ansonsten fahre ich mit dem Rad und lege deshalb mehr Wert auf einen trockenen und sicheren Stellplatz für das Rad. Durch Arbeit an verschiedenen Orten wie zu Hause und in der Firma brauche ich nicht unbedingt ein tolles Büro, dafür aber die neueste funktionstüchtige Technik. Was interessiert sind familienunterstützende Maßnahmen wie Kinderbetreuung nicht nur von 08.00 – 16.00 Uhr, flexible Arbeitszeiten, eine Kantine mit vegetarischen und veganen Angeboten, die Möglichkeit, für einen definierten Zeitraum auszusteigen, die Möglichkeit, einen Angehörigen zu pflegen und dennoch eine volle Stelle zu haben (flexible Arbeitszeit), ein Arbeitsplatz auf neuestem technologischen Standard, das eine oder andere Freizeitangebot u.v.m.
Aber nicht alle denken so, wie eingangs bereits erwähnt. Die Vielfalt der Menschen der Generation Y verlangt von der Führung eine ebensolche Vielfalt in ihrem Verhalten. Gut beraten sind Führungskräfte, wenn sie
• erkennen, dass diese Generation wie keine vor ihr einer enormen Komplexität und einer so großen Zahl von Wahlmöglichkeiten ausgesetzt ist, dass viele nicht desinteressiert sind, sondern einfach nicht wissen, was sie machen, wie und wofür sie sich entscheiden sollen,
• lernen und verstehen, dass ihre persönlichen Motivatoren für die heute 20 – 30 jährigen oft nicht mehr attraktiv sind (das habe ich bei meinen Söhnen auch schon einsehen müssen). Dennoch sind die Werte der älteren Generation oft identisch mit denen der Generation Y, sie werden von dieser nur anders realisiert,
• sich mehr Zeit für die Führungsarbeit und den Kontakt zu ihren MitarbeiterInnen nehmen,
• ihre MitarbeiterInnen und deren individuelle Persönlichkeit, Ausrichtung, Interessen und Fähigleiten gut bzw. besser kennen als heute,
• offenes Feedback geben und annehmen und daraus dann etwas machen,
• lernen, so wenig wie nötig anzuordnen und so viel wie möglich zu überzeugen.
Die Herausforderung heißt, sich nicht abzugrenzen, sondern in Kontakt miteinander zu kommen bzw. zu bleiben, zu verstehen, wie diese Generation „tickt“ und von den Unterschieden zu profitieren. Wir können viel von-einander lernen! Wir werden auch mit kantigen und wenig stromlinien-förmigen Lebensläufen in den Unternehmen zu tun haben und uns bei der Selektion und Integration neuer MitarbeiterInnen umstellen müssen. Eins ist sicher: Führung bleibt weiterhin spannend!
Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und allen MitarbeiterInnen Ihres Unternehmens ein schönes und besinnliches Weihnachtsfest sowie Glück und Gesundheit im neuen Jahr!
Es grüßen Sie herzlich,
Ihr
Thomas Zimmermann
und das Team von synthesis
Das Buch zum Thema: Kerstin Bund: Glück schlägt Geld: Generation Y, was wir wirklich wollen. Sehr munter und frisch geschrieben, ein must für alle, die Personalverantwortung haben.