„Was Du nicht willst das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ 

„Was Du nicht willst das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ 

„Was Du nicht willst das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ 

Na, wer hat das gesagt, wer hat’s erfunden? Wem können wir diese Aussage zuschreiben? War es Johann Wolfgang von Goethe? Oder war es sein Zeitgenosse Immanuel Kant mit seinem Kant’schen Imperativ, den man so prägnant auf den Punkt bringen kann? Oder war es Konfuzius (dessen Statue in den Gärten der Welt in Berlin der Spruch ziert)?

Oder Buddha? Der Urheber dieses Satzes lässt sich leider nicht so richtig herausfinden, zumindest ist es mir nicht gelungen. Was aber auch gar keine Rolle spielt, denn es geht hier um eine zeitlos gültige Aussage. Eine Aussage, ein Gebot, gegen das tagtäglich millionenfach verstoßen wird, obwohl bestimmt eine Mehrheit der Menschen der Richtigkeit dieser Aussage insbesondere für sich selbst ohne jeden Zweifel zustimmen würde. 

Die Aussage ist eindeutig … 

Man könnte in diesem Satz vielleicht sogar die Zusammenfassung der 10 Gebote erkennen. Der Inhalt ist eindeutig: Verhalte Dich stets so, begegne anderen Menschen immer so, wie Du möchtest, dass Dir selbst begegnet wird. Ich möchte, dass andere mich nicht belügen oder gar schaden, deshalb belüge oder schade ich anderen auch nicht.

Ich möchte nicht von anderen körperliche Schmerzen zugefügt bekommen, also misshandle ich andere auch nicht. Ich möchte von Lieferanten einwandfreie Produkte für mein Geld, deshalb liefere ich selbst nur einwandfreie Leistungen. „Hauptsache, es hält, bis es beim Kunden ist“ – das gibt es bei mir deshalb nicht usw. 

… dennoch viele Zwischenrufe 

Moment, so einfach geht das nicht, höre ich Sie rufen – es kommt doch immer auf die Umstände an! Das stimmt nur insofern, als dass jedes Ereignis eine Entstehungsgeschichte hat und wir diesen Kontext berücksichtigen müssen. Und: Wir müssen aber in diesem (oft eher schädlichen) Kontext nicht weitermachen. Vielmehr können wir überlegen, wie es wohl weitergehen kann im Sinne der o.g. Aussage. 

„Moment“, höre ich wieder einen Zuruf, „was ist denn, wenn die andere Seite nicht will?“ „Niemand kann in Ruhe leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“, heißt schließlich das Sprichwort. Zum Streiten gehören immer zwei, sagt man, und wenn eine Seite nicht will, hat es ein Streit schwer. Ich kann, anstatt es mit gleicher Münze heimzuzahlen, vielleicht einen anderen Weg gehen, einen, der zu mehr verstehen und Akzeptanz oder gar zu einer stabilen Lösung führen kann? 

Homo hominis lupus est. Stimmt das so?

„Ach, immer wieder diese gutmeinenden Menschen!“ höre ich einen weiteren Zuruf, die Menschen sind nun mal Raubtiere: Homo hominis lupus est, weiß man doch! Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten haben aber nachgewiesen, dass die Menschen immer dann besonders erfolgreich waren, wenn sie kooperierten und nicht konfrontierten. Natürlich hat fast jeder Mensch das Streben nach einer persönlichen Einmaligkeit, will als Person gesehen und anerkannt werden und sein Leben leben, aber dafür braucht es keine Abwertung anderer, so wenig wie eine Selbstherabwürdigung.

Den Satz: „Die Menschen sind so!“ würde ich um das Wort „geworden“ ergänzen: Geworden durch Erziehung, durch kulturelle Einflüsse, durch eigene Erfahrungen und dergleichen mehr. Und die Gene? Ja, die spielen natürlich auch eine Rolle – neben all den vorgenannten Einflüssen. Dass auf Reiz meist eine Reaktion folgt, ist nicht neu und oft genug trägt dieses Muster zur Eskalation bei. Ich glaube, nein bin sogar sicher, dass der überwältigende Teil der Menschen auf der Welt vor allem eines will: In Ruhe und Frieden leben, ein Dach über dem Kopf und genug zu essen zu haben und sich und ihren Familien ein sicheres Leben ermöglichen. 

Verrückt und dennoch tägliche Praxis 

Stellen Sie sich mal folgendes vor: Firmen stellen mit größter Präzision und teuren Rohstoffen teure Produkte her, deren Bestimmung es ist, früher oder später absichtlich zerstört zu werden. Milliarden an Kapital und große Mengen Rohstoffen werden dafür eingesetzt. Kaum zu glauben, oder? Widersinnig, oder? Und doch passiert das Tag für Tag und verursacht Milliarden an Kosten! Wo? Auf den Kriegsschauplätzen der Welt: Da werden Waffen produziert und anschließend von der jeweils anderen Seite zerstört, ohne dass sie irgendeinen Nutzen hätten stiften können. Das Verhältnis von Reiz und Reaktion sorgt für eine kontinuierliche Fortsetzung dieses Widersinnes. Und anschließend wird wieder aufgebaut, bis zur nächsten Zerstörung. 

Konsequenzen 

Und ganz nebenbei werden bei dieser Gelegenheit viele Menschen verletzt, verlieren Haus und Hof oder gar ihr Leben. Millionen Menschen sind auf der Flucht, weil sie dort, wo sie herkommen, aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr leben können. Es entstehen nicht nur Traumata, auch der Gedanke der Rache an den Verursachern des Leides wird fleißig genährt. Würden Sie denn gerne ihre Heimat, ihren Besitz und ihre sozialen Kontakte aufgeben, um ihr Leben und das Ihrer Familie zu retten? In Camps unter menschenunwürdigen und unsicheren Umständen leben (wenn man das als Leben bezeichnen kann), ohne eine Perspektive? Was Du nicht willst …. Hinzu kommen Tausende traumatisierte Menschen, deren aktuelles und künftiges Leben durch furchtbare Erlebnisse beeinflusst oder gar zerstört wurde.

In der Traumaforschung hat man festgestellt, dass sich Traumata im Körper festsetzen können und ein Leben lang bleiben. Das künftige Leben von Kindern wird durch Kriegserfahrungen enorm beeinflusst – und dabei haben sie noch gar keine Chance, ihr Leben zu leben, gehabt. Dieses Leid verursacht zusätzlich Milliarden medizinischer Folgekosten und wirkt sich auf die lokale wie internationale Kultur der nächsten Jahrzehnte aus. Auch die gesellschaftlichen Kosten gehen in die Milliarden, das ist gewiss, und die traumatischen Erfahrungen der Menschen werden in den Gesellschaften noch viele Jahre nachwirken. 

Geld ist immer da 

Aber leider nicht immer da, wo es gebraucht wird. Beispielbeweis: Während der Coronapandemie konnten wir erleben, wie über Nacht plötzlich Milliarden für allerlei Maßnahmen zur Verfügung standen. Deutschlands Mittel für die Unterstützung der Ukraine wurden „mal eben“ und ohne große Diskussion von 4 auf 8 Mrd. Euro angehoben, war einer Randnotiz der Tagespresse zu entnehmen. Ich möchte hier keine Diskussion über die Richtigkeit dieser Entscheidungen (insbesondere angesichts der Lage in der Ukraine und der Bedeutung des Konfliktes für Europa) lostreten, vielmehr ist interessant, wie zumindest schnell und unkompliziert sie zustande gekommen sind.

Die Milliarden, die derzeit z.B. für die Kriegsführung an den Brennpunkten dieser Welt ausgegeben werden und letztlich nur die Anteilseigner der Konzerne, welche die Waffen herstellen, noch reicher machen, könnten für die so notwendige Entwicklung unserer Welt viel nützlicher eingesetzt werden und würden dabei Arbeitsplätze schaffen und Gewinne ermöglichen. Sie könnten dafür sorgen, dass die Welternährung gesichert wird, dafür, dass die Menschen in ihren Ländern Arbeit und Nahrung finden und nicht fliehen müssen, dafür, dass es vielleicht auch ein wenig mehr Gerechtigkeit geben wird.

Und das Gute daran: Mit all diesen Entwicklungsprozessen lässt sich auch Geld verdienen, vielleicht sogar mehr als mit zerstörten Rüstungsgütern. Und es erhöht die Chancen, dass die nachfolgenden Generationen noch eine Welt vorfinden, in denen sie leben können. Unsere Welt steht am Rande des Kollapses, und wir leisten uns Kriegsspiele anstatt uns um ihren Erhalt zu bemühen. An dem Ast, auf dem man sitzt, zu sägen erscheint mir nicht sonderlich klug. 

Träumer, Fantast, Irrer, armer Kerl 

„Der Zimmermann glaubt ja immer noch an den Weihnachtsmann“, werden Sie vielleicht jetzt denken, wenn Sie diese Zeilen lesen. Ich versichere: Dem ist nicht so. Ich wusste als Kind schon immer, wer am 6.Dezember in dem roten Mantel steckte. In meiner langjährigen Beratungspraxis habe ich die sichtbaren und unsichtbaren Wirkmechanismen und Abhängigkeiten in Organisationen nebst den Konsequenzen für das Ganze, und damit deren Realität, immer wieder kennenlernen dürfen.  

Wir können immer so weiter machen, wir können aber auch innehalten (nicht nur an Weihnachten). Mit den Worten: „I have a dream…“ begann Martin Luther King am 28. August 1963 seine berühmte Rede vor dem Lincoln Memorial in Washington, und er beschrieb, wie er die Zukunft und das Zusammenleben der schwarzen und weißen Menschen in der Gesellschaft sah. Vieles von dem, was er in seiner Rede ausführte, ist eingetreten, vieles auch nicht. Bewegung in die Entwicklung der Menschenrechte hat seine Rede auf jeden Fall gebracht.

Krieg, werden Sie vielleicht einwenden, hat es schon immer gegeben, die Menschen sind halt so. Leider schaffen es ein paar Hundert (wenn es so viele sind) Despoten und Diktatoren immer wieder, Konflikte zu entfachen und zu schüren und finden dabei Unterstützung.  

Aber: Die Welt hat sich laufend und seit Beginn der Industrialisierung besonders schnell entwickelt und mit dieser Entwicklung veränderten sich auch die Menschen und ihr Leben. Es geht auch ohne Gewalt und Krieg. Ghandi in Indien und Mandela in Afrika sind hierfür Beweis. Entwicklung, Veränderung ist also möglich, die Träume von Martin Luther King waren gar nicht so irreal. Wir können uns und die Umstände verändern, aber wollen wir auch? Können wir die Einsicht gewinnen, dass Krieg noch nie in der Geschichte nachhaltige positive Veränderungen gebracht haben?

Wollen wir die Welt neu denken, weil wir es uns, wie erwähnt, gar nicht mehr leisten können, weiterhin an dem Ast, auf dem wir sitzen, zu sägen? Wollen wir uns weiterhin von einigen wahnsinnigen und machtgeilen Staatslenkern und denen, die es so gern werden wollen, unsere Zukunft versauen lassen, oder sind wir bereit, uns den Konflikten der Welt mit dem Ziel einer Lösung zuzuwenden, was alles andere als einfach sein wird? Wissend, dass eine konfliktfreie Welt illusorisch ist, aber Konflikte auch anders als mit Gewalt gelöst werden können? Sind wir gewillt, eine „enkelfähige“ Welt zu hinterlassen? 

Emotionale Verwahrlosung 

Ein starkes Wort, zugegeben, aber: Was können wir eigentlich noch spüren angesichts der Situation auf unserem Planeten? Können wir z.B. noch Weihnachten spüren? Weihnachten steht unmittelbar vor der Tür – gehen jetzt die Gefühle für dieses Fest unter im Stress der Jahresabschlüsse, des verzweifelten Geschenke Besorgens („Was kann ich nur XY schenken?“), der Überforderung angesichts dessen, was alles auf der Welt passiert?

Erinnern Sie sich vielleicht an frühere Zeiten, als Sie noch intensivere Gefühle mit dem „Fest der Liebe“ verbanden? Und was ist davon übriggeblieben? Wie schauen wir auf das Leid der Welt, berührt uns das noch? Was tut sich in uns, wenn wir Bilder aus Gebieten, die von Naturkatastrophen oder Krieg heimgesucht wurden, sehen? Sehen wir noch die Menschen am Rande unserer Gesellschaft, können wir da noch mitfühlen? Oder treibt uns der Selbstschutz schon so weit, dass diese Bilder nichts mehr in uns auslösen? Ich mache mir große Sorgen, wenn ich die Begriffe wie „Kollateralschäden“ für die Opfer einer kriegerischen Auseinandersetzung höre und verweigere mich, mich, z.B. einem „Patientengut“ zugehörig zu sehen. Sprache sagt viel aus über den emotionalen Zustand einer Gesellschaft. 

Was zum Nachdenken für Führungskräfte und Unternehmer 

Weihnachtszeit und Jahresende sind eine gute Gelegenheit, über die emotionale Komponenten in einer Organisation nachzudenken. Also: In welchem Maße wird in Ihrer Organisation im Umgang untereinander nach dem Grundsatz „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg‘ auch keinem anderen zu“ gehandelt? Zum Beispiel, wenn es um direkte Kommunikation geht, um die Art der Vermittlung von Anweisungen, um die Weitergabe von Informationen, und zwar unter dem Aspekt des „wie“ und nicht (nur) des „was“? Was läuft da schon gut, wo sollte sich und was sollte sich verändern?

Wie ist es bei Konflikten? Kann es vielleicht sein, dass aus der Missachtung des eingangs genannten Grundsatzes Konflikte entstehen/entstanden sind? Und dass durch deren (Nicht-)Bearbeitung auch eine gewisse Abstumpfung eingetreten ist? Vielleicht erkennen Sie Handlungsfelder der Verbesserung und erinnern sich, dass sich hier nicht nur Chancen für die Verbesserung der Unternehmenskultur bieten, sondern auch Gewinne positiv beeinflusst werden. 

Weihnachten ist auch eine Zeit der Hoffnung, wenngleich das in diesem Jahr etwas herausfordernder ist. Ich glaube, dass wir durchaus zuversichtlich sein können, Veränderungspotenziale sind da und wie gut und schnell sich Menschen auf veränderte Situationen einstellen können, zeigte uns die Coronapandemie. Deshalb: Anpacken ist gefragt, jede/r an seinem Platz. 

Lesestoff:

Für die Ernüchterung: Menasse, Robert: Die Erweiterung. Realität in Romanform und dadurch nicht weniger bedrückend. 

Für Herz und Seele: Ware, Bronnie: Leben ohne Reue. 52 Impulse, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist. Bronnie Ware hat auch den Bestseller: „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ geschrieben, in dem sie ihre Erfahrungen in vielen Jahren der Sterbebegleitung gemacht hat, zusammengefasst hat.