Vom Sinnvollen Sparen

Vom Sinnvollen Sparen

Sparen gilt in Deutschland als Tugend. Im Gegensatz zum Geizigen wird der gelobt, der in guten Zeiten „etwas zur Seite legt“, damit man in schlechten Zeiten davon zehren kann. Wer – wie ich – im Schwabenland groß geworden ist, saugt die Segnungen des Sparens sozusagen mit der Muttermilch auf.

In den folgenden Zeilen, die Sie sich bitte nicht (!) sparen sollten, möchte ich Ihnen aber von den falschen und sogar schädlichen Seiten des Sparens berichten (es wird gespart, egal, was es kostet) und würde mich freuen, mit Ihnen darüber ins Gespräch zu kommen.

Wir alle kennen das: In den öffentlichen Haushalten wird „gespart, bis es quietscht“ und am Ende stehen Schlangen in den Bürgerämtern, verwaiste Polizeistationen und liegengelassene Bauanträge. Unsere Politiker sind auch insofern nicht ganz ehrlich, wenn sie vom „Sparen“ reden und dabei lediglich die Neuverschuldung drosseln. Mit „Etwas zur Seite legen“ hat das nun wirklich nichts zu tun.

In der Werbung wird uns sehr raffiniert durch das „Kauf drei, zahl zwei“ ein Spareffekt suggeriert, der aber dann nicht eintritt, wenn ich noch nicht einmal „eins“ gebraucht hätte. Aber: Wer darauf noch nicht reingefallen ist, möge den Finger heben.

Völlig absurd wird es, wenn in Unternehmen unter dem Dach der „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“ die Kekse bei Besprechungen gestrichen werden. Einmal abgesehen von segnenden gesundheitlichen Effekten hat dies mit „Sparen“ nichts zu tun und taugt noch nicht einmal als Symbol. Natürlich muss man sich einschränken, wenn die Ressourcen knapp sind oder zu werden drohen, aber ist das Sparen?

„Wir schnallen den Gürtel enger“, „wir werfen Ballast ab“, „wir konzentrieren uns auf das Wesentliche“ – Sie und ich, wir alle kennen diese Euphemismen des Einschränkens, des Kostensenkens, des effizienter Werdens nur zu gut.

Aber hat all das mit dem Sparen zu tun? Oder wird gar falsch gespart?

Diverse Rückrufaktionen z.B. in der Automobilindustrie sind darauf zurückzuführen, dass an der falschen Stelle gespart wurde. Heißt: Es werden Kosten verursacht, die das Eingesparte bei weitem überschreiten.

Sparen, egal was es kostet?

Schaut man bspw. in Unternehmen, so trifft man auf vielerlei Optimierungs- und Sparmaßnahmen. Manche machen einen Sinn, den alle verstehen, bei anderen erschließt sich die Sinnhaftigkeit den Führungskräften und Mitarbeitern nicht. Das liegt auch und vor allem an der mangelnden transparenten Kommunikation. Wenn Menschen verstehen, warum sie sich einschränken müssen, sind sie in aller Regel auch bereit, Maßnahmen mitzutragen. Wenn sie nicht verstehen, investieren sie ganz im Gegenteil viel Energie in die Torpedierung der Maßnahmen. Jeder, der sich mit Organisationen beschäftigt, weiß, dass die Qualität einer Maßnahme ihre Grenze bei der Kreativität derer findet, die diese Maßnahme nicht akzeptieren und umgehen wollen. So ist nun, um auf das genannte Beispiel zurückzu-kommen, nicht ersichtlich, was das Streichen von Keksen und Konferenz-getränken zur Verbesserung des Unternehmensergebnisses beitragen kann. Kommen so die fehlenden Millionen wieder rein? Nein, werden Sie vielleicht sagen, das ist ja auch anders gemeint, das soll ein Signal für alle sein, kosten- und nutzenorientiert mit den Ressourcen umzugehen. Einverstanden, aber warum sagt man dann den Mitarbeitern nicht ganz klar und möglichst mit Zahlen unterlegt, wie die Sachlage ist? Glaubt jemand wirklich, dass Menschen das nicht verstehen?

Prozesse werden manchmal so lange „optimiert“, bis der Output nicht mehr den Qualitätsanforderungen entspricht. Das spüren die Mitarbeiter, und viele leiden auch darunter. Entweder sinkt die Qualität, oder es wird mit oft beträchtlichem Mehraufwand an anderen Stellen aus- und nachgebessert, diese Kosten werden aber nicht erfasst. „Kaum,“ so sagte der schwäbische Bauer, „hatte ich meinem Gaul das Fressen abgewöhnt, ist das blöde Vieh tot umgefallen.“ Lieferanten werden z.B. in der Automobilzulieferindustrie so lange gedrückt, bis die „kostengünstigste“ Lösung auf dem Tisch liegt. Der fachlich unkundige Einkäufer wird dann für sein Verhandlungsergebnis gelobt, die Empfänger des Produktes oder der Leistung haben mit dem Gelieferten aber ihre liebe Not. Fast immer entstehen mit dem „kostengünstigen“ Produkt Folgekosten, die oft weit über dem liegen, was an den besten Lieferanten zu zahlen gewesen wäre. Aber der Einkauf wird für die Folgen seines Tuns nicht zur Rechenschaft gezogen.

In der Führung spart (sic!) man gerne an Lob und Anerkennung, als ob dies die teuersten Arbeitsmittel wären. Es sind aber die wirksamsten Führungs-instrumente, sie kosten fast nichts und entfalten gewaltige positive Wirkung: Die Studien hierzu und die Beweise sind vielfältig, aber noch nicht überall angekommen. Was kosten Lob, Anerkennung, Wertschätzung? Sie kosten Aufmerksamkeit und Zugewandtheit dem anderen gegenüber und damit auch Zeit, um die Mitarbeiter zu sehen und wahrzunehmen, und zwar auch als Menschen und nicht nur als Werkzeuge. Wenn man sich klar macht, dass eine zentrale Führungsaufgabe darin besteht, für die Beschäftigten ein Arbeitsumfeld zu ermöglichen, in dem sie gerne, kreativ und qualitativ hochwertig arbeiten, wird deutlich, dass Führungsarbeit sehr viel mit zwischenmenschlichem Kontakt zu tun hat und nicht nur mit organisatorischen, fachlichen oder strategischen Inhalten. Stattdessen scheint sich in vielen Organisationen und Menschen eine Einstellung gegenüber Lob und Anerkennung zu halten, die in dem Spruch „Wenn es dem Esel zu wohl wird, dann geht er aufs Eis“ zum Ausdruck kommt. Ich kann Ihnen versichern, dass ich noch keinen Esel gesehen habe, der freiwillig eine Eisfläche betreten hat. Sie?

Erlauben Sie mir einen Blick auf den privaten Bereich: An nichts anderem spart „der Deutsche“ so gern und so ausgiebig wie an der Anschaffung von Nahrungsmitteln, von denen anschließend noch ein großer Teil weggeworfen wird. Von allen europäischen Ländern sind Lebensmittel in Deutschland am billigsten zu bekommen, was sich eindrucksvoll an dem dichten Netzt von Discountern hierzulande zeigt, die zuerst ihren Lieferanten und dann sich selbst mit mörderischen Preiskämpfen das Leben schwer machen. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich von „Nahrungsmitteln“ und nicht von „Lebensmitteln“ spreche. Bewusst, denn das, was wir manchmal unserem Körper zuführen, bereichert unsere Lebensqualität nicht wirklich, es hält allenfalls den Motor am Laufen. „Wir stoffwechseln dann nur so vor uns hin“ hat mir einmal der Fernsehkoch Horst Lichter, ein Genussmensch wie er im Buche steht, erklärt. Lebensmittel hingegen mögen etwas teurer sein, bereichern aber das Leben.

An anderer Stelle lockert sich dafür die Sparbereitschaft, und die Emotionalität bekommt die Oberhand: Beim übergroßen Bildschirm („Aber wie soll man sonst WM gucken?“), beim Auto („Mit dem größeren Motor bin ich schneller bei Dir zu Hause, Schatz!“) oder den Schuhen („Für das Geld kann man sie nicht stehen lassen!“).

Letztlich geht es um die Frage: Wie kann man richtig und sinnvoll sparen bzw. Ressourcen richtig einsetzen? Sparen sollte nicht zum Selbstzweck verkommen, sondern braucht einen Gegenwert, ein Ziel: Das, was ich dafür bekomme, muss den Sparprozess aufwiegen, sonst lohnt Sparen nicht. Es geht also nicht nur um woran, sondern auch wofür.

Wie könnte das gehen? Ich schaue auf den öffentlichen Bereich, auf Unternehmen und auf das Privatleben:

Im öffentlichen Bereich wäre es angebracht, mehr in Konsequenzen zu denken. Dies betrifft besonders die Personalpolitik. Nur im öffentlichen Dienst kann es passieren (wie vor einiger Zeit in Berlin), dass junge Lehrer verbeamtet werden, weil kein Geld für die Sozialversicherungsbeiträge, die für sie als Angestellte zu entrichten wären, vorhanden sei. Diese Kosten werden der Folgegeneration aufgeladen. Aber auch ein Blick auf die demografische Entwicklung, die im öffentlichen Dienst besonders stabil ist, kann helfen, vernünftige Personalentscheidungen zu treffen. Natürlich soll der öffentliche Dienst nicht mit Verschwendung glänzen, hoheitliche Aufgaben lassen sich aber nun mal nicht immer betriebswirtschaftlich positiv rechnen.

In den Organisationen und Unternehmen sollten die Kosten der Demotivation bei Entscheidungen mehr berücksichtigt werden. Was ist gewonnen, wenn die Kosten sinken und mit ihnen die Motivation: Wir haben alles eingespart, auch die Motivation? Wie wirken sich geplante Maßnahmen also nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch auf die Atmosphäre und Engagement aus? Transparenz von Entscheidungen und eine gute Informationspolitik können hier hilfreich sein, ebenso gute Führungsbeziehungen. Die Führungskräfte sind ein weiteres Mal als Vorbild gefragt, wer Wasser predigt und Wein trinkt, wird dieser Rolle nicht gerecht. Auch zur Schau gestellte Askese kommt nicht gut an, ebenso wenig das Horten von Finanzmitteln, wo stattdessen sinnvolle Investitionen vonnöten wären.

Geiz ist nicht geil!

Und im persönlichen Bereich? Ich lasse mich, genauso wie Sie, nicht gern übers Ohr hauen. Ich weiß aber, dass alles seinen Preis hat und haben muss. Geiz ist nicht geil, sondern destruktiv. Deshalb gibt es für mich 2 Orientierungspunkte:

– ich spare wertorientiert und
– ich genieße „statt ungenießbar zu sein“, um es mit Konstantin Wecker zu sagen.

Mit „wertorientiertem Sparen“ ist gemeint, das zu investieren, was dem subjektiv empfundenen Wert entspricht, aber auch nicht mehr, denn dann wäre es Verschwendung. Das gilt z.B. für Bücher, die einen Nutzen für die Arbeit und/oder die Lebensqualität stiften. Oder Kunst und Kultur oder schöne Reisen, welche die Lebensqualität steigern. Auch gute (nicht überzogen luxuriöse) Hotels und Dienstleistungen haben ihren Preis. Keiner kann etwas verschenken, und wer es besonders billig macht, macht es eben billig und mit entsprechend weniger Empathie, Mitdenken und Motivation. „Garbage in, garbage out“ sagt man in anderen Ländern, und wer neben dem Preis nicht auch auf Qualität achtet (und die hat ihren Preis), darf sich nicht wundern, wenn dann Mist herauskommt. Meine Großmutter, schwäbische Hausfrau, pflegte zu sagen: „Ich muss mir die teuren Socken kaufen, die billigen kann ich mir nicht leisten.“

Bei meinem letzten Frankreichaufenthalt im vergangenen Sommer habe ich so deutlich wie nie zuvor erfahren, dass gutes Essen und gute Lebensmittel ihren Preis und auch ihren Wert haben. Gleiches gilt für Wein: Teuer ist fast nie besser und selten ein Qualitätsindikator, aber für geringes Geld kann man keinen guten Tropfen erwarten.

Und natürlich es gibt Dinge, die kein Geld kosten, einem für immer bleiben und an denen man auf keinen Fall sparen sollte: Das Erleben des Augenblicks, bestimmte Ereignisse, interessante Begegnungen mit sich selbst und anderen sowie Beziehungen. Wer hieran spart und statt dessen lieber Vermögen anhäuft, spart mit Sicherheit an der falschen Stelle. „Das letzte Hemd hat keine Taschen“, habe ich schon zu Hause gelernt, und was haben Sie davon, wenn Sie dereinst die reichste Person auf dem Friedhof sind?

Steigern Sie Ihre Lebensqualität, werden bzw. bleiben Sie großzügig sich selbst und anderen gegenüber, aber natürlich nicht verschwenderisch! In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen genussvollen Urlaub,

herzliche Grüße
Ihr

Thomas Zimmermann und das Team von synthesis

Literaturtipp für den Urlaub:

Wilhelm Schmid, Gelassenheit (zum Warmlaufen)
Wilhelm Schmid, Dem Leben Sinn geben (zur Vertiefung)

Wilhelm Schmid lebt in Berlin, lehrt an der Uni Erfurt und ist mein Lieblingsphilosoph, auch, weil er sich sehr gut lesen lässt!