„Und dann bekam ich den Koffer nicht mehr zu“

„Und dann bekam ich den Koffer nicht mehr zu“

So beschreibt Frau Prof. Dr. Miriam Meckel (St. Gallen) in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel (14.03.2010) den Zeitpunkt, als der Burnout bei ihr zuschlug. Das der Koffer nicht zuging, hatte beileibe nichts mit  der Fülle im Transportbehältnis zu tun – vielmehr brach plötzlich eine völlige Handlungslähmung über sie herein. Und das bei einer dynamischen Frau, die eine nahezu beispiellose Hochschulkarriere hingelegt und auch schon beachtliche politische Funktionen bekleidet hatte. Oder gerade deswegen?

„Ich brauchte eine halbe Stunde für eine Mail, die sonst 2 Minuten dauert“; „Ich bin morgens einfach nicht mehr hoch gekommen“; „Die einfachsten Arbeiten wollten nicht mehr gelingen“; „Es erfüllte mich schlagartig eine völlige Leere“ – solche und ähnliche Aussagen charakterisieren –wenn auch nur unzureichend- den Zustand des Burnout. Von Oliver Kahn, wahrlich kein Schwächling, wird sogar berichtet (Tagesspiegel v. 14.03.2010), dass er plötzlich Schwierigkeiten hatte, eine ganz normale Treppe hoch zu steigen. Wann der Burnout oder dem Burnout vergleichbare Zustände erstmals beschrieben wurden, lässt sich nicht genau klären: Die Spannweite reicht vom alten Testament (1. Könige 17 – 22, die Geschichte des Propheten Elias, zit. nach Kypta) über Erzählungen von Graham Green bis zu dem Psychoanalytiker Herbert Freudenberger, der 1974 das burn-out Spätstadium beschrieb.

Die Symptome des Burnout sind vielfältig und sowohl im körperlichen Bereich (Herzbeschwerden, Kreislaufbeschwerden, Schwächezustände, Hautprobleme u.v.m.) wie auch im psychischen Bereich (Panikattacken, Stimmungsschwankungen, Ängstlichkeit u.v.m.) zu beobachten. Übergreifend lässt sich das Gefühl des Burnout vielleicht am besten mit „absolutem abgeschnitten sein“ beschreiben, abgeschnitten von der eigenen Energie, von sozialen Kontakten, von der eigenen Persönlichkeit, ein Gefühl der absoluten Leere. Natürlich ist nicht jede Nervosität oder Niedergeschlagenheit ein Signal für Burnout, genau so wenig wie jeder Stich in der Brust auf einen Herzinfarkt hindeutet. Mehren sich aber solche und weitere psychische und physische Signale, ist Aufmerksamkeit und Diagnose angesagt. Nicht alle Menschen sind gleichermaßen Burnout anfällig, hier spielen sowohl die körperliche wie auch psychische Konstitution eine wichtige Rolle.

So entsteht Burnout

Woher rührt der Burnout? Was sind seine Quellen? Und warum gab es das (angeblich) früher nicht? Wir, so sagen manche älteren Menschen, haben Deutschland ja auch wieder aufgebaut ohne Burnout, und früher gab es auch noch die 6-Tage-Woche! Die Ursachen für den Burnout sind vielfältig und entspringen unterschiedlichen Schwerpunkten in den einzelnen Berufen/Tätigkeitsfeldern. Wobei, wohlgemerkt, auch eine Hausfrau und Mutter/Hausfrau und Vater durchaus vom Burnout bedroht sein können! Konzentriert man sich auf das Geschehen in Unternehmen, so heißt das zentrale Stichwort Verdichtung: Die Arbeit wird (z.B. wegen Personaleinsparungen) für den einzelnen immer mehr, die Aktions- und Reaktionszeiten verkürzen sich, die Beschäftigungssicherheit wird geringer, der interne Wettbewerb größer, die Zielvorgaben anspruchsvoller – all das und vieles mehr zehrt an der Energie und an der inneren Stärke von Menschen. Gleichwohl verlangt das Unternehmen den vollen Einsatz für das Erreichen der Arbeitsergebnisse- aber leider wird bereits ein Teil der hierfür erforderlichen Energie für die vorgenannten Arbeitsumstände aufgewendet. Ein augenfälliges Beispiel ist der schriftliche Nachrichtenverkehr: Früher schrieb man Briefe, die eine gewisse Versandzeit in Anspruch nahmen, dann kam das Fax, und die Übermittlung dauerte nur Sekunden oder Minuten.

Heute gibt es die Mail, die über den ganzen Globus in kürzester Zeit versandt wird. Nicht, dass ich die segensreichen Errungenschaften der Nachrichtenübermittlung nicht zu schätzen weiss – allein die Reaktionszeiten sind von Tagen auf Minuten verkürzt, denn meist wird auf eine Mail eine sofortige Antwort erwartet. Und es ist nicht nur eine Mail … viele Dinge wollen im Tageslauf gleichzeitig erledigt werden, und wer das kann, ist dann multitaskingfähig. Hinzu kommt, dass der Druck am Arbeitsplatz und die Beschäftigungsunsicherheit (sog. Lebensstellungen gibt es heute allenfalls noch für Beamte) die Menschen in Organisationen nicht zusammen führt sondern gegeneinander – lupus est homo homini (Plautus, frei übersetzt: Der Mensch ist des Menschen Wolf). Entlastung durch Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Lob – allesamt wichtige Energiespender – bleiben auf der Strecke, weil die Führungskräfte oft dermaßen unter Druck stehen, dass sie ihre Mitarbeiter eher als Maschinen oder Werkzeuge zur Zielerfüllung sehen denn als Mitmenschen. Jubelfeiern beim Erreichen eines Projektabschnittes oder eines Erfolges gleichen dieses Defizit dann auch nicht aus, sondern werden manchmal eher als zynische Geste (obwohl oft so nicht gemeint) empfunden.

Zielbilder angemessen?

Menschen wollen, und darin sind sich nahezu alle Anthropologen und Psychologen einig, aus ihrem Leben etwas machen, in ihrem Leben etwas erreichen. Dabei haben sie Ansprüche an sich selbst, auch an die Menge und die Qualität ihrer Arbeit. Wertmaßstäbe, in Erziehung und Ausbildung (und manchmal auch in der Werbung) vermittelt, leiten ihr Handeln: Idealbilder sollen erreicht werden und können es manchmal nicht, weil irgendwelche Umstände nicht danach sind. Beispiel Qualität: Das Erreichen einer bestimmten Qualität verlangt Zeit und Ressourcen – und genau die sind nicht oder nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Nun entwickelt sich im Mitarbeiter ein innerer Konflikt, der, wenn er anhält, meist zur Resignation und Rückzug führt. Und dann wird dieser auch noch für Qualitätsmängel haftbar gemacht – ein Teufelskreis. Aber auch andere Leitbilder wie z.B. das der „glücklichen Familie“ (in der Werbung so immer präsentiert), bestehend aus Eltern, 2 aktiven Kindern, Haus, 2 Autos, Urlaub (sicher habe ich hier noch das eine oder andere Klischee vergessen) führen zu Druck und können Burnout zur Folge haben: Es muss immer klappen mit Job und Karriere, Arbeitslosigkeit ist nicht vorgesehen, die Eltern (meist die Mutter) meistern alle erzieherischen Herausforderungen bravourös (natürlich neben der Berufstätigkeit), Beziehungskonflikte werden souverän geregelt usw. – und irgendwann fehlt dann die Lebensenergie und man ist ausgebrannt. Und dann kommt es noch schlimmer, insbesondere für Männer: Burnout ist bzw. war zumindest bis vor kurzem tabu und ist es oft noch heute.

Kein Mann wollte und will sich nachsagen lassen, dass er nicht belastbar oder gar ein Schlappschwanz sei, aus Angst vor Karriereknicks und Spott, aber auch weil es nicht zum eigenen Selbstbild oder dem Zielbild passte. Denn da kommen nur die Gewinner vor. Wenn es denn gar nicht mehr geht, nimmt man Urlaub oder feiert Überstunden ab, notfalls lässt man sich auch krank schreiben und nimmt Tabletten – aber ärztliche oder psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, die an den Ursachen ansetzt – bloß nicht, schon allein des Imageverlustes wegen!

Wege aus dem Burnout

Wird Burnout diagnostiziert oder setzt Burnout ein, ist professionelle Hilfe gefragt. „Wir dachten, wir schaffen es mit Liebe!“ sagte Theresa Enke nach dem schrecklichen Freitod ihres Mannes, des Torwartes Robert Enke. Liebe ist sicher eines der besten Mittel, aber das allein hilft nicht immer. Miriam Meckel ging 4 Wochen in eine Burnout Klinik (die stets gut mit Patienten gefüllt sind), schrieb in der Zeit ihr neues Buch („Briefe an mein Leben“), um sich mit ihrem Burnout auseinander zu setzen und ging dann auf Leserreise. Ob sie die Botschaft ihres Burnout verstanden hat, bleibt mir unklar. Professionelle Hilfe bedeutet sowohl ärztliche Hilfe wie auch psychotherapeutische Unterstützung. Aber ohne die Bereitschaft, sich seinem Burnout zu stellen und sich mit den Ursachen zu beschäftigen, wird weder ein Arzt noch ein Therapeut erfolgreich mit dem Patienten arbeiten können. Und noch etwas ist vonnöten: Zeit. Es hat Jahre gedauert, in denen der Körper und die Psyche die Überlastungen ertragen haben, bis sie sich wehrten – und nun wird es mehr als ein oder zwei Wochen dauern, um wieder „auf das Gleis“ zu kommen. Medikamente werden nur kurzfristig, keinesfalls dauerhaft helfen.

Man könnte es aber auch einmal mit Prophylaxe versuchen, denn bekanntlich ist vorbeugen besser (und billiger) als heilen. Woran können Führungskräfte also eine Burnout Gefahr bei ihren Mitarbeitern erkennen? Mögliche Signale können sein:

         dauerhafte Überlastung, egal ob aufgegeben oder selbst herangezogen;

         nachlassendes Engagement (vor allem bei ehemals sehr engagierten Mitarbeitern);

         Qualitätsverluste;

         Vergesslichkeit, Nachlässigkeit wo sonst große Sorgfalt war;

         übermäßige Gereiztheit bei sonst eher ruhigen Menschen;

         häufigere kurze Krankheitsphasen;

         kein Urlaub über längere Zeit genommen bzw. nur Kurzurlaube;

         körperliche Symptomatiken wie rascher Gewichtsverlust; Hautausschläge,  ständige Müdigkeit;

         Unfälle aufgrund von Unachtsamkeit;

         u.v.m.

All diese Signale (und eine Kombination daraus) können, müssen aber nicht auf Burnout hinweisen. Was wirklich dahinter steckt, werden Sie nur im Kontakt mit dem Mitarbeiter erfahren – und auf die Wichtigkeit der Kontaktqualität habe ich ja immer wieder in den vergangenen Unternehmer-briefen hingewiesen. Dann ist es an Ihnen, auch im Sinne Ihrer Fürsorge-pflicht, den Mitarbeiter dazu zu bewegen, sich professionelle Hilfe zu holen.

Und bei Ihnen selbst? Wie dicht sind Sie vor dem Burnout oder sogar schon mitten drin? Hören Sie in sich hinein und achten Sie auf Veränderungen, wie beispielhaft oben beschrieben. Vor allem: Lernen Sie ihre Grenzen kennen und respektieren. Nicht alle unsere Idealvorstellungen sind für jeden erreichbar (genau so wenig, wie jeder Tellerwäscher zum Millionär wird). Wichtig ist, die Vorstellungen zu hinterfragen, weshalb ich sie habe, was sie für mich bedeuten und wofür sie stehen – und ob es nicht Wege gibt, die anders zum gleichen oder zu einem genauso erstrebenswerten Ziel führen. Hören Sie auf, auch dann noch ja zu sagen, wenn das Wasser schon bis zum Halse steht. Nehmen sie Ihre familiären Pflichten ebenso wichtig wie ihre beruflichen. Denken Sie auch ans Tanken – kein Auto fährt unendlich mit einer Tankfüllung:

         Gönnen Sie sich ausreichend Urlaub und wirkliche Erholung (z.B. ohne Laptop und Blackberry), nehmen Sie sich gezielt Auszeiten;

         Pflegen Sie Ihre Hobbies und tun sie etwas für Ihren Körper (Sport);

         Kümmern Sie sich mehr um Familie, Freundschaften und Geselligkeiten auch außerhalb geschäftlichen Kontextes;

         Engagieren Sie sich im Sozialbereich und genießen Sie die Freude derer, denen Sie helfen können;

         Halten Sie Ihren Geist am laufen mit Themen, die nichts mit Ihrem Beruf zu tun haben, pflegen Sie Ihre Lebensphilosophie;

         Fragen Sie sich immer einmal wieder: Ist das, was ich tue, das was ich wirklich will?

Und noch ein Wort zum return on investment: Der Burnout bedingte Ausfall eines Mitarbeiters, der meist mehrere Wochen bis zu 2 Jahren dauert, kostet nicht nur Geld (selbst bei Lohnfortzahlung durch die KV nach 6 Wochen sind da schnell 10 T€ aufgelaufen), sondern bedeutet auch know-how Ausfall und Mehrbelastung der verbliebenen Mitarbeiter mit der Gefahr des anschließen-den Burnouts. Wenn die Mitarbeiter wirklich die wichtigste Ressource Ihres Unternehmens sind – dann ist eine Investition in deren Pflege z.B. durch Prophylaxe nicht nur angezeigt, sondern auch deutlich billiger, oder?

Zu diesem Thema stehen meine Kollegen und ich gerne zu einem Gedanken-austausch zu Ihrer Verfügung!

Viele Grüße und einen erfolgreichen Sommer wünscht Ihnen

Thomas Zimmermann

 

Literaturtipps:

Kypta, Gabriele, Burnout erkennen, überwinden, vermeiden, Heidelberg 2006

Gross, Werner, …aber nicht um jeden Preis, Freiburg 2010

Abel, Peter, Spirituelle Wege aus dem Burnout, Münsterschwarzach 2009