„Mir schaffet beim Daimler!“ – Leider!

„Mir schaffet beim Daimler!“ – Leider!

Harald A. –so will ich ihn nennen- ist nicht nur in Stuttgart geboren, sondern hat auch über 40 Jahre „beim Daimler g’schafft“ und dort eine nicht untypische Karriere durchlaufen: Lehre als Werkzeugmacher, dann Bundeswehr, auf dem Zweiten Bildungsweg Abitur und Studium des Maschinenbaus, dann wieder „zum Daimler“ und dort in verschiedenen Funktionen als Ingenieur, aber immer in der Motorenentwicklung und im Motorenbau, tätig. Er war auf seine Firma immer stolz, heute leidet er an ihr. Warum?

Seit zwei Jahren ist der Dieselskandal ein Dauerthema, die bekannt werdenden Dimensionen des Betruges der Autoindustrie werden immer größer und die Versuche der dort agierenden oberen und obersten Führungsebenen, damit umzugehen, immer dilettantischer und uneinsichtiger. Die Ungeheuer-lichkeiten lassen sich wegen ihrer Menge fast gar nicht mehr aufzählen, und schlimm dabei ist auch: Man wundert sich mittlerweile nicht mehr über die Dimensionen, sondern nimmt auch neue Enthüllungen nahezu erregungsfrei und schulterzuckend hin.

Harald A. meint, dass alles seinen Anfang Ende der 90er Jahre, zumindest bei Daimler, genommen habe. 1992 erschien das Buch von Womack/Jones/Roos: „Die zweite Revolution in der Automobilindustrie“, und damit wurde ein neues Thema, nämlich „lean production“ aufgerufen. Seit damals, so Harald A., geben die Sparkommissare in der Autoindustrie (und beileibe nicht nur da) die Richtung vor. Alles muss schneller und günstiger werden, im Einkauf liegt der Segen (= Gewinn). Seit Ignacio Lopez (Sie erinnern sich an ihn?) steht nicht nur, aber vor allem in der Automobilindustrie die Kostenbetrachtung vorn, sie überblickt aber häufig nicht die Gesamtsystematik. Übersehen wird dabei u.a. gern, dass nicht alles, was günstig eingekauft wurde, hinterher seine Funktion im erforderlichen Maße erfüllt. Das technisch mögliche Ziel, der Nutzen für Kunden und Umwelt fällt diesen reinen Kostenbetrachtungen schnell zum Opfer. Aber die Automobilhersteller stehen vor schwindenden Gewinn-margen, da ist so manch ein kostensparender Trick zur Umgehung der Abgasgesetze und anderer Vorschriften mehr als verlockend.

Aber warum leidet Harald A. denn nun an seiner ehemaligen Firma? Er hat sicher gut verdient, verfügt jetzt über eine sehr auskömmliche (auch betriebliche) Altersversorgung, erfreut sich guter Gesundheit und kann jeden Tag seinen Interessen nachgehen. Vielleicht bekommt er sogar als ehemaliger Mitarbeiter einen Preisnachlass, wenn er sich einen Mercedes kauft.

Also?

Er leidet, weil seine Identifikation mit „seinem“ Unternehmen beschädigt wird bzw. ist. Die Firma, auf die er viele Jahre, gar sein ganzes Berufsleben, stolz war, zeigt sich als Teil eines, ich denke, man kann es so sagen, kriminellen Systems. Die Autos, von deren Qualität und Technik er überzeugt war, entpuppen sich als Fahrzeuge, bei denen wahrlich nicht alles in Ordnung ist. Manche Führungskräfte, zu denen er im Unternehmen aufgesehen hat, werden gar als Mitwisser oder gar Initiatoren von mehr als zweifelhaften Entscheidungen enttarnt, sein positives Bild von ihnen zerbricht. Und vielleicht schleicht sich ein, was er als überzeugter Daimlermann nie für möglich gehalten hat: Er schämt sich für seine Firma und deren Machen-schaften. Können Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn eine fast lebenslange Identifikation, in diesem Fall mit einem Unternehmen, verloren geht, zerbricht?  Wenn man sich vielleicht am Stammtisch schämt, für ein bestimmtes Unternehmen zu arbeiten, auf das man lange Zeit so stolz war? Da entsteht ein riesiger Bruch, auch im Selbstverständnis, und es kommen jede Menge Fragen auf, für die man vielleicht keine Antwort findet.

Sicher geht es nicht nur ihm allein so. Auch die Personen, die bei VW, Daimler, BMW und anderen Unternehmen in Lohn und Brot stehen, fragen sich jetzt: Für wen arbeite, engagiere ich mich da eigentlich? Was sind die Worte derer, die da oben stehen, eigentlich wert? Wie passt das zu den hehren Aussagen in Leitbildern und Unternehmensphilosophien? Weshalb soll ich an diese Aussagen glauben, motiviert sein, wo ich doch vielleicht Gefahr laufe, auf der Straße als Mitarbeiter eines Betrugsunternehmens angesprochen oder gar damit identifiziert zu werden? Vor Jahren haben mir einmal Mitarbeiter der BVG (Berliner Verkehrsbetriebe) gesagt, dass sie nicht gerne in Dienstuniform zur Arbeit fahren, weil sie dann als Beschäftigte der BVG erkannt und für die tatsächlichen oder vermeintlichen Fehler des öffentlichen Nahverkehrs beschimpft werden (inzwischen hat sich das Image der BVG allerdings deutlich gebessert). Vor diesem Hintergrund ist diese Haltung gut zu verstehen, denn: Man möchte so gerne stolz auf das Unternehmen sein, kann es aber nicht.

Viel ist jetzt wieder einmal von Vertrauen die Rede, Vertrauen, das die Mitarbeiter in die Führung und die Anleger in die Führungskräfte haben sollen, auch Vertrauen, welches bei den Kunden zurückgewonnen werden soll usw. Ich kann mich noch an einen Spruch aus meiner Kindheit erinnern, der da heißt: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er mal die Wahrheit spricht“. Vertrauen hat eine Voraussetzung, und das ist die Glaub-würdigkeit. Wer mir nicht glaubwürdig erscheint, zu dem kann ich kein Vertrauen entwickeln. Allenfalls Zutrauen kann entstehen: Ich traue der Person dann so manches zu, und selten ist es etwas Positives.

Was heißt glaubwürdig? Glaubwürdig bedeutet, dass eine Person oder ein Sachverhalt aus der subjektiven Sicht des Glaubens daran würdig ist, dass sie bzw. er Glauben verdient. Glauben heißt ja bekanntlich „nicht wissen“, und so bin ich darauf angewiesen, ein gewisses Maß an Ungewissheit zu akzeptieren und die Person oder den Sachverhalt dennoch für wahr und richtig zu halten. Das Thema Glaubwürdigkeit durchzieht auch jede Organisation, jedes Unternehmen, und viele Mitarbeiter fragen sich beispielsweise: Sind die Produktversprechen, die wir unseren Kunden geben, glaubwürdig, werden sie immer (oder wenigstens fast immer) eingehalten? Erscheinen unsere Führungskräfte, denen wir vertrauen sollen bzw. zu denen wir Vertrauen entwickeln sollen, mit ihren Aussagen und Verhaltensweisen glaubwürdig? Oder gilt hier auch: Wasser predigen und selbst Wein trinken? Kann ich mich/lohnt es sich für mich, mich wirklich mit dem Unternehmen zu identifizieren?

Menschen wollen gerne zu einer für sie attraktiven Gruppe gehören, wollen sich mit ihr identifizieren und beziehen zumindest einen Teil ihrer Identität daraus, sie wollen sogar stolz auf diese Organisation sein können. Sie wollen mit Überzeugung in der Öffentlichkeit beispielsweise sagen können: Ich arbeite bei der Firma X, Y,Z oder bin Mitglied in jener Organisation und erwarten dann eine positive Resonanz von den anderen – aber keine üblen Kommentare oder gar Beschimpfungen. Diese wahrgenommene Attraktivität und ihre Spiegelung in den Reaktionen stärkt nicht nur die Bindung an das Unternehmen, sondern verhilft kleinen und großen Organisationen auch dazu, neue MitarbeiterInnen zu gewinnen, obwohl vielleicht die Konditionen einer Position in einem anderen Unternehmen besser sind. Deshalb wird ja auch der Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer positiv wahrgenommenen Organisation aktiv in der Personalwerbung, bei der Gewinnung der Besten, von vielen Unternehmen sehr geschickt als Akquisitionsinstrument eingesetzt.

Aus Attraktivität entsteht Stolz, aus Glaubwürdigkeit Vertrauen und aus allem (auch) intrinsische Motivation. Wenn man mit Leistungsschwäche oder hohen Krankenständen zu kämpfen hat, ist es sicher nicht falsch, sich auch einmal zu fragen: Ist unsere Organisation für die Beschäftigten attraktiv? Können die MitarbeiterInnen stolz darauf sein, hier zu arbeiten? Sind wir glaubwürdig in der Führung, in Produktversprechen, im Umgang mit Kunden usw.? Können die MitarbeiterInnen der Führung vertrauen? Antworten bzw. Informationen hierzu können Sie übrigens auch aus den unternehmensinternen Flurparolen entnehmen. Das sind Sprüche, die von den MitarbeiterInnen über das Unternehmen gemacht werden, wie z.B. „Mitdenken schadet nicht, aber es bringt einen hier auch nicht weiter!“ oder „Hauptsache, es hält, bis es beim Kunden ist“.

Unterzieht man die eigene Organisation also einem Glaubwürdigkeitscheck, kann man z.B. auf folgende Themenkreise schauen:

  • Entspricht der Umgang aller Beteiligten in der Organisation miteinander dem, was wir vereinbart oder auch in Regeln schriftlich festgelegt haben?
  • Werden gegebene Versprechen eingehalten?
  • Sprechen wir nicht nur von Qualität, sondern leben und produzieren wir sie auch?
  • Entsprechen unsere Werbebotschaften der Realität unseres Unternehmens und unseren Produkten?
  • Sind wir im direkten Kontakt mit unseren Kunden glaubwürdig?
  • Fordern wir untereinander nur das ein, was zu geben jeder selbst auch bereit ist?
  • Ist unsere Kultur so, dass Fehler besprechbar und verzeihbar sind?
  • v.m.

Und noch ein Hinweis: Agilität in Unternehmen wird seit einigen Jahren gefordert, und in zunehmend mehr Organisationen werden agile Arbeits-formen und Prozesse installiert. Auch andere, neue Formen der Zusammen-arbeit werden überall gefordert, um im Wettbewerb bestehen zu können, um mit der Digitalisierung zurechtzukommen und die Konsequenzen der Digitalisierung im eigenen Unternehmen zu integrieren. Bei allen sogenannten neuen Arbeitsformen wird deutlich, dass sich die Rolle der Beschäftigten, aber auch der Führungskräfte stark wandelt. Die MitarbeiterInnen erhalten mehr Spiel-, aber auch Entscheidungsraum. Entscheidungen und damit Verantwort-lichkeiten werden „nach unten“ verlagert. Das führt dazu, dass sich auch die Führungsarbeit verändert, Hierarchien aufgegeben oder reduziert werden, die Führungskraft mehr als Berater tätig wird usw. All das setzt voraus, dass eine mentale Verbindung zwischen den Agierenden besteht wie z.B. ein gleiches Sinn-, Werte- und Zielverständnis. Und das wiederum setzt Vertrauen zueinander voraus, Vertrauen, dessen Basis die Glaubwürdigkeit ist. Vertrauen und Glaubwürdigkeit, die zu einer hohen Identifikation mit der Organisation führen, können aufgebaut bzw. erhalten werden z.B. durch:

  • offene, wertschätzende und respektvolle Kommunikation im Unternehmen;
  • Information über alles, was für die Beschäftigten bedeutungsvoll ist;
  • Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten, wo immer möglich;
  • vorbildliches Leben der Unternehmenswerte vor allem durch die Führungsebenen;
  • v.m.

Wenn Sie daran interessiert sind, dass sich Ihre MitarbeiterInnen mit Ihrem Unternehmen und dem Arbeitsplatz identifizieren und möglichst auch stolz darauf sind, wenn Sie das Thema Glaubwürdigkeit in Ihrem Unternehmen einmal beleuchten und verhindern wollen, dass vielleicht MitarbeiterInnen Ihres Unternehmens an genau diesem Unternehmen leiden und sich das dann in Leistung und Qualität niederschlägt – Sie wissen ja, wo Sie uns finden!

Viele Grüße und ein erfolgreiches letztes Jahresdrittel,

Ihr Thomas Zimmermann

und das Team von synthesis

Hinweis:

Die Geschichte des Harald A. wurde ausführlich in der Stuttgarter Zeitung vom 07.08.2017 unter dem Titel „Die Leiden eines Daimler Mannes“ veröffentlicht. Informationen zu den geheimen Arbeitskreisen und den Harnstofftanks entstammen dem SPIEGEL Nr. 30 vom 22.09.2017