Die Lage war noch nie so ernst.

Die Lage war noch nie so ernst.

Eigentlich meine ich, dass ihm zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Aber dann schafft er es doch immer wieder, weltweite Aufmerksamkeit durch Worte und Taten zu erregen, so wie ein Kind, das ununterbrochen quengelt. Die Rede ist von Donald Trump, Sie werden es längst gemerkt haben. Geradezu rührend waren die Bemühungen der Referenten beim Jahresempfang des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) am 13. Februar dieses Jahres (Lothar de Maizière, Brigitte Zypris, Cem Özdemir, Mario Ohoven u.a.), das Thema Trump möglichst auszusparen. Nur – totschweigen kann man ihn in einer von Medien dominierten Welt auch nicht! Und seine Gefolgsleute im Geiste in Frankreich, in Holland und auch in Deutschland tun sich bisher gottlob nur durch Worte vor, zu größeren Taten sind sie (noch) nicht fähig.

Ja, wir müssen einmal mehr über „The Donald“ und die Einfachdenker (oder ist das nur fake, und die denken sehr strategisch?) dieser Welt reden. Ich zumindest kann für mich in Anspruch nehmen, dass ich den Weg dieses Herrn schon seit Jahren verfolge. „Über Nacht“ kam er wahrlich nicht. Heute geht es aber nicht so sehr um unfassbare Äußerungen und den enormen Flurschaden, den „Trump and friends“ anrichten, sondern vielmehr um die Frage, weshalb diese Personen in der Bevölkerung so viel Zustimmung finden. Wie muss der Boden bereitet sein, damit deren Gedanken und Worte so viel Resonanz erfahren? Findet man darauf wenigstens den Ansatz einer Antwort, dann kann man sich in Folge auch Gedanken machen, wie längerfristig Veränderungen aussehen sollten, um diesen (so oft) destruktiven Ideen den Nährboden zu entziehen.

Auf der Suche nach einer Antwort bieten sich verschiedene Perspektiven an: Zuallererst die politische, danach sicher gleich die ökonomische. Spätestens jetzt kommt die kulturelle und mit ihr die Bildungsperspektive. Alle vier sind für Unternehmer und Führungskräfte interessant, denn ihre Unternehmen sind Teile des Systems und profitieren von Politik, Wirtschaft, Kultur und Bildung – oder leiden darunter. Umso schwieriger ist es für mich zu verstehen, weshalb einige deutsche und auch andere europäische Unternehmer den Wahlsieg Trumps so positiv sehen, da sie mit guten Geschäften rechnen. Kurzfristig mag das so sein, insbesondere für Zement- und Zaunhersteller, aber was passiert längerfristig?

Schauen wir zunächst auf die politische Perspektive: Hier wurde durch das Verhalten (tun und unterlassen) aller politisch und gesellschaftlich Verantwortlicher ein Raum geschaffen, in dem langsam und stetig eine rechtsnationalistische Saat aufgehen konnte. Die Menschen haben die politischen Entscheidungen nicht mehr verstanden und sich selbst „von denen da oben“ ausgeschlossen gesehen. Das betrifft alle etablierten Parteien und Organisationen (Verbände, Gewerkschaften). Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin wird besonders gern als Beispiel genommen: Viele fühlen sich verunsichert, denn es fehlte in katastrophaler Weise an Kommunikation, an Erklärungen, am „Mitnehmen“, gefolgt von ein einem massivem Verwaltungs-versagen, zumindest in Berlin. Dass es zu diesen Flüchtlingsbewegungen kommen konnte und dass es bei manchen hierzulande und anderswo an Verständnis und Einsicht fehlt, hat viele und teilweise sehr lang zurück-liegende Ursachen, zu denen vor allem die Wirtschaftspolitik vieler Länder und einige Unternehmen, auch deutsche, beigetragen haben. Ein weiterer Grund mag sein, dass gerade in Deutschland alle immer mehr zur Mitte rückten: Der linke Rand wurde und wird weitgehend von der Linken abgedeckt und rechts entstand ein Vakuum, das auch durch die eifrigen Bemühungen eines Herrn Seehofer nicht geschlossen werden konnte.

Aus der ökonomischen Perspektive muss man erkennen, dass die Schere zwischen „arm“ und „reich“ statistisch und sicher auch real trotz Mindestlohns immer weiter auseinander ging und geht. Zwar haben wir so viele Beschäftigungsverhältnisse wie seit vielen Jahren nicht mehr – nur sehen wir uns diese doch mal an: Sehr viele Menschen sind im Niedriglohnbereich beschäftigt und manche Jobs reichen nicht einmal, um dem Arbeitenden den Lebensunterhalt sicher zu stellen. Dann wird Aufstockung bezogen oder ein Zweit- oder gar Drittjob gesucht. Hier lauert eine gewaltige Gefahr: Wie soll einmal die Altersversorgung dieser Menschen erfolgen, wenn sie aufgrund ihrer niedrigen Einkünfte nur geringe Rentenbeiträge leisten können? Heißt der Rat dann: Private Vorsorge, wie am 13.02. bei der o.g. Veranstaltung von Herrn Clement nachdrücklich gefordert? Mit welchem Geld denn bei einem Bruttolohn von vielleicht € 1.500 oder € 1.800, vielleicht sogar mit Familie, selbst wenn man sich einschränkend, wie vom ehemaligen Berliner Finanz-senator, Bundesbankvorstand und spätem Buchautor Sarrazin vorgeschlagen, täglich Leberkäsebrötchen zu sich nimmt? Wer also soll die Renten und die Pflegekosten für diese Menschen, die auch 30 oder gar 40 Beschäftigungsjahre nachweisen können, einmal aufbringen? Dies bei einer sinkenden Anzahl von Beschäftigten (und damit Beitragszahlern) in Deutschland? Und dabei geht es uns noch gut! Schauen wir in die Südländer mit ihren enormen Arbeitslosen-zahlen, besonders bei jungen Menschen. Hier ist ein Potenzial an sog. Protestwählern entstanden, die denen, die einfache Lösungen versprechen, direkt in die Arme laufen. Wenn dann nach der Wahl die Wahrheit ans Tageslicht kommt (Trump, Brexit), ist es zu spät, die Wahl vorbei und die Gewinner sind an der Macht. Bei der Entstehung der aktuellen wirtschaftlichen Situation und Beschäftigungssituation haben Politik und vielfach auch Unternehmen Hand in Hand gearbeitet. Auch die Gewerkschaften haben sich lieber auf Gehaltsverhandlungen als auf langfristige Sicherung von Arbeits-plätzen konzentriert. Und die Menschen haben sich von einfachen Lösungen einlullen lassen, denn wir wissen: Erst kommt das Fressen, dann die Moral (Berthold Brecht).

Zur kulturellen und Bildungsperspektive (die ich hier einmal zusammenfassen will) wäre anzumerken, dass es zu allen Zeiten Mahner oder abweichend denkende Menschen noch nie einfach hatten. Meist wurden sie gebrandmarkt, diskriminiert, sanktioniert oder im schlechtesten Fall ihres Lebens beraubt. Sie standen den einfachen Lösungen eben im Weg. Nur in seltenen Fällen hat man sich mit dem Kern ihrer Gedanken wirklich konstruktiv auseinander-gesetzt und dann vielleicht erkannt, was an den Argumenten brauchbar und hilfreich war und ist. Dabei sein ist für viele alles, egal wie. Auch in den Unternehmen haben es nach meiner Erfahrung die Stromlinienförmigen deutlich einfacher als die Kantigen. Dabei halten die stromlinienförmigen Mitarbeiter zwar das Geschäft am Laufen, voran bringen es oft aber die Kantigen. Was in widerspruchsarmen Unternehmen passieren kann, lernen wir beispielhaft seit 2015 von VW und erhalten von dort aktuell eine interessante Lektion zum Thema „Verantwortung übernehmen“ (Vorstand VW und Amts-gericht Braunschweig). Gefördert (und oft auch verlangt) wird in einigen Unternehmen leider immer noch eine Denkweise, die den (kurzfristigen) wirtschaftlichen Erfolg in den Vordergrund stellt und das Denken im Gesamt-system mit folgenden Fragestellungen außer acht lässt: Was lösen die Handlungen nicht nur im engeren, sondern auch im weiteren Umfeld aus, sowohl im Unternehmen wie auch im Wirtschaftsraum? Wie weit beeinflusst unsere Unternehmenspolitik die wirtschaftliche Situation unseres Landes, anderer Länder und der Menschen dort? Kann uns die wirtschaftliche Situation in anderen Ländern wirklich egal sein? Können wir wirklich eine Mauer (auch im geistigen Sinn) um uns herum bauen, oder sind wir unzertrennbar mit dem ganzen Planeten verbunden (sind wir!)?

Ob solche Gedanken und die Kultur beeinflussenden Überlegungen entstehen, hängt sehr stark mit der Bildung zusammen. Nicht von ungefähr sprach Frau Merkel vor Jahren von der „Bildungsrepublik Deutschland“, was in Folge allerdings nicht geholfen und nach meiner Beobachtung auch nicht zu signifikanten positiven Veränderungen geführt hat. In den letzten 15 bzw. 10 Jahren hat nach meinem Eindruck der Einfluss der Wirtschaft auf die Ausbildung junger Leute enorm und leider nicht bzw. nicht immer förderlich zugenommen. In den Schulen sind die naturwissenschaftlichen Fächer nach vorne gerückt, und viele Studiengänge sind immer mehr auf die Bedürfnisse der Industrie ausgerichtet worden, selbst das ganze System wurde „konsum-gerecht“ in Bachelor und Masterstudiengänge aufgeteilt. Zunächst ist das ja nichts Schlechtes, denn die Absolventen aller Bildungsgänge sollen und wollen einen Arbeitsplatz finden. Und was helfen da Fähigkeiten und Fertigkeiten, die nicht unmittelbar monetär verwertet werden können? Aber die „produktionsfähige Verwendung“ ist eben nicht alles. Vielleicht sollten wir in den Unternehmen auch darauf achten, nicht nur Personen, sondern auch Persönlichkeiten bei der Personalauswahl zu berücksichtigen.

Leise und nahezu unbemerkt hat die Bedeutung der Fächer, die einen Menschen in seiner Persönlichkeit und auch kulturell bilden und ihm u.a. das Fundament für überlegte (Lebens-)Entscheidungen geben, abgenommen. Ich denke hier an Fächer wie Geschichte, Politik, Philosophie (oder Religion/ Ethik), Musik, Kunst usw. Sie sind, so die Meinung vieler, wirtschaftlich nicht verwertbar, sind „brotlose Kunst“. Ein paar ganz Hartnäckigen war und ist das aber egal, sie studieren dennoch mit großer Überzeugung Geschichte, Musik und Schauspiel und sind dafür bereit, ein vielleicht wirtschaftlich schmaleres Leben zu akzeptieren. Das „Gespenst“ des promovierten Taxifahrers ist ihnen egal. Ich bewundere die meisten von ihnen, denn ihnen ist es wichtig, ihrem (vielleicht weniger ökonomischen) Lebensideal zu folgen. Sie leisten für die Gesellschaft einen anderen Beitrag, indem sie Kultur und Kunst am Leben erhalten, dort Impulse geben und sie weiterentwickeln.

Es mehren sich Stimmen, die sagen, dass wir in den letzten Jahrzehnten die sog. MINT-Fächer zulasten der allgemeinen Bildung in Schulen und Hochschulen zu sehr bevorzugt haben. Dies ist auch mein Eindruck in Diskussionen mit jüngeren Menschen, in denen ich gelegentlich auf ein schmerzhaftes Defizit an Allgemeinbildung und Reflektionsfähigkeit stoße. Dabei denke ich z.B. nicht nur an Geschichtswissen, sondern auch an Geschichtsverstehen. Wir sorgen dafür, dass die Ausbildungsstellen dem Markt gute oder sehr gute Fachkräfte zur Verfügung stellen, was ja auch in Ordnung ist. Wir sorgen aber zu wenig dafür, Menschen heranzubilden, die unseren kulturellen und historischen Kontext kennen und auf Basis dieses Wissens und nach reiflicher Überlegung ihre Entscheidungen treffen. Wir konfrontieren zu wenig mit Philosophie und Literatur, um so die individuellen Perspektiven zu erweitern. Ein positives Beispiel ist in dem schon etwas älteren Film „Der Club der toten Dichter“ eindringlich dargestellt Was ich damit zum Ausdruck bringen will, ist: Die Tatsache, dass wir es heute wiederum in Deutschland und Europa mit Geschichtsvergessenheit und erfolgreichen Populisten zu tun haben, hat auch damit zu tun, dass ein entsprechender Nährboden in den Köpfen derer, um deren Wählergunst sie buhlen, vorhanden ist. Und der kommt nicht von ungefähr.

Aber vielleicht ist das mit dem Brexit, mit Herrn Trump, Frau Le Pen, Herrn Wilders, Herrn Höcke u.a. gar nicht so schlimm? Vielleicht wird das ja auch gar nicht so garstig, wie viele immer behaupten? Vielleicht haben die ja doch ganz tolle Ideen, die uns weiterbringen? Vielleicht haben wir das ja auch verdient, und es braucht den Schock, damit Neues entstehen kann? Nicht umsonst redet man ja ständig von Disruption …

Ich glaube, dass es noch viel schlimmer wird mit dem Brexit (dem vielleicht der Grexit, der Frexit oder auch der Nexit folgen) und den genannten Personen, wenn diejenigen, die noch nicht gewählt sind, an die Macht kommen. Ich gehöre zu einer Generation, die in den letzten 50 und mehr Jahren alles hat werden sehen in Deutschland und Europa und die Mühen, die damit verbunden waren, erlebt hat. Und ich halte das Erreichte für so wertvoll, dass ich es nicht den Experimenten irgendwelcher Populisten überlassen möchte. Wahr ist aber auch, dass wir uns alle, und da nehme ich mich nicht aus, ganz gut in der individuellen Komfortzone eingerichtet haben und zu spät die Zeichen der Zeit erkannten. Umso mehr sind jetzt klare Zeichen und Handlungen gefordert:

  • Dass wir dem vereinfachenden Denken in Gesprächen und Diskussionen aufklärend entgegen treten;
  • dass wir uns politisch bzw. gesellschaftlich engagieren, mindestens aber wählen gehen,
  • dass wir in den Unternehmen das Querdenken ebenso fördern wie die intellektuelle Beteiligung der Beschäftigten am Geschehen, an Entscheidungen;
  • dass wir uns wohlwollend, aber auch kritisch mit neuen technischen, aber auch gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzen;
  • kurzum: Dass wir aktiv werden und uns an unseren Plätzen einmischen!

„Die Lage war noch nie so ernst“, wird oft Konrad Adenauer zitiert, der Nachkriegsdeutschland in der Zange zwischen der Sowjetunion und den USA erlebte und hier geschickt lavieren musste. Egal, ob es heute Parallelen zu damals gibt und welcher Art diese sind: Ernst, zumindest aber herausfordernd ist die Lage auch heute. Und genau deshalb ist jede/r gefragt!

Wir wünschen Ihnen ein gutes Jahr 2017 mit vielen (geschäftlichen) Erfolgen, guter Gesundheit, interessanten Begegnungen und klugen Entscheidungen! Für ein Gespräch über die genannten Themen und anderes stehen wir, wie immer, gerne zu Ihrer Verfügung – Sie wissen ja, wo Sie uns finden.

Viele Grüße

Ihr Thomas Zimmermann

und das Team von synthesis

Noch ein wichtiger Literaturtipp: Martin Walker, Deutschland 2064

Martin Walker ist Schotte, Historiker, Journalist, Berater, Mitglied des Think Tanks von A.T. Kearney (Global Policy Council) und Schöpfer von Bruno, Chef de Police, dessen Geschichten er in bislang 9 Büchern veröffentlicht hat. In diesem Buch geht es um Daten und Fakten zur Zukunft unserer Gesellschaft und Wirtschaft, eingebettet in eine Kriminalgeschichte. Unbedingt lesen, man bekommt viele Ideen!