Ein gottesfürchtiger Mann lebte fromm in ärmlichen Verhältnissen, hielt alle Regeln und Vorgaben seiner Religion genau ein, beging alle Feiertage und betete viele Jahre seines Lebens täglich darum, dass er eines Tages im Lotto gewinnen und wohlhabend werden möge. Er alterte über die Jahre, ohne dass sich seine Hoffnung erfüllte und Gott seinen Wunsch erhörte.
Kurz vor seinem Lebensende betete er ein weiteres Mal, wies im Gebet auf sein gottgefälliges Verhalten all die Jahre hin, womit er sich Gottes Wohlwollen doch verdient habe und bat um einen Gewinn. Da öffnete sich plötzlich der Himmel, helles Licht strahlte, Gott erschien und sprach zu ihm: „Lieber Freund, ich habe Dich all die Jahre gesehen, deine Gebete gehört und Gefallen an Dir gefunden. Bitte gib mir doch eine Chance, Deinen Wunsch nach einem Gewinn zu erfüllen, und kauf dir endlich ein Los!“
Erschütterungen
Wir stehen am Anfang eines weiteren neuen Jahres und beginnen das Jahr 3 nach dem Ausbruch von Corona. Die vergangenen zwei Jahre haben, glaube ich, allen psychisch und vielen auch wirtschaftlich arg zugesetzt. Vieles, was vor Corona noch unmöglich schien (z.B. home office in großem Stil, Videokonferenzen, die brachiale Umdeutung des Begriffes „Querdenken“ etc.) wurde Realität, gleichzeitig wuchs bei vielen Menschen auch eine oft diffuse Angst vor der (gesundheitlichen) Zukunft, den (Un-)Möglichkeiten in und bei künftiger Lebensgestaltung u.v.m.
Diese und viele andere Sorgen und Ängste sind verständlich und auch nachvollziehbar – nur: Bringen sie den/die Einzelne/n wirklich weiter, senken, erhalten oder steigern sie die Lebensqualität?
Ein „Urvertrauen“ in unser System und die Zukunft unseres Lebens wurde besonders durch die Pandemie nachhaltig erschüttert. Ich meine, das kommt (auch) daher, dass wir größere Abweichungen i.S. von Katastrophen in unserem Leben nicht mehr gewohnt sind und uns schwer im Umgang und der Bewältigung damit tun.
Alles muss immer klappen, geradeaus laufen, wehe nicht! Das passt auch zur Ideologie des permanenten Wachstums, in der Störungen größeren Ausmaßes nicht stattfinden und wenn doch, diese immer beherrschbar sind. Frühere Generationen waren immer wieder mit Einbrüchen in ihrem Leben konfrontiert: Seuchen und Krankheiten, die zum Tode führten, kriegerische Auseinandersetzungen, Kindersterblichkeit, Naturkatastrophen. Die Menschen lebten mit dem Unerwarteten, Unberechenbaren. Sie suchten und fanden oft mystische Erklärungen für die Ereignisse („Strafe der Götter!“ etc.) und hofften auf bessere Zeiten und/oder Erlösung.
Diese Hoffnung gab vielen die Kraft, weiterzumachen. In unserer stark wissenschafts- und technikorientierten Zeit, in der alles rechen- und machbar erscheint und das Paradigma der Kalkulierbarkeit dem Schicksal den Rang abgelaufen und die Hoffnung als nicht-rechenbare Größe weitgehend verdrängt hat, wiegen dann Nicht-Machbarkeiten besonders schwer.
Unvorhergesehenes ist nicht vorgesehen
Heute erwarten wir, dass alles perfekt läuft. Wenn Störungen auftreten, werden diese deshalb oft gleich als elementar empfunden, und rasch verbreitet sich eine Untergangsstimmung. Woran es dann mangelt, ist die Zuversicht, dass es eine wie auch immer geartete Lösung der Situation gibt, „ein Leben danach“.
Dass letztlich alles weitergeht, auch wenn man nicht weiß, wie und wohin. So reagiert beispielsweise eine Gesellschaft panisch, wenn etwas neues auftritt, mit dem man nicht gerechnet hat, wie z.B. eine Pandemie, und man nicht gleich weiß, wie damit erfolgversprechend umzugehen ist.
Statt mit Augenmaß und Vernunft vorzugehen, wird in solchen Fällen die Panik durch die permanente Berichterstattung der Medien („Brennpunkt“) und die Verlaut-barungen der Regierung (z.B. RKI Wieler) auch noch angeheizt: Es ist 5 vor 12. Dabei ist 12 Uhr schon vorbei, die Pandemie hat sich jeder Kontrolle entzogen, die Beschränkungen haben nur anfangs den erwünschten Erfolg gebracht, jetzt hofft man auf milde Krankheitsverläufe. Nicht erreicht hat man auch nach 2 Jahren damit mindestens 20% der Bevölkerung.
Hoffnung – ein Weg
Was jetzt vielen Menschen hilft und helfen wird, ist Hoffnung: Die Hoffnung auf milde Verläufe, die Hoffnung auf bald verfügbare noch bessere Medikamente, die Hoffnung, dass die Sache glimpflich ausgeht usw. Wir wissen (wieder mal) nicht, was kommt, aber wir können und sollten hoffen.
Und Akzeptanz: Akzeptanz der Lage, wie sie ist, daraus resultierend eine Haltung des Indikativs und nicht des Konjunktivs (hätte man bloß …), aufbauend darauf Überlegungen, wie es realistischer Weise weitergehen kann, welche Möglichkeiten sich anbieten usw. und auf diese Weise die Erwartungsängste in Grenzen zu halten.
Womit wir wieder bei der Geschichte vom Anfang wären, bei der es um die Veränderung eines für den Protagonisten unangenehmen Zustandes geht. Hoffnung – was ist das?
Hoffnung, so wird oft definiert, heißt „nicht wissen“, und sie liegt in der Ferne. Es hat also mit etwas in einer noch nicht bekannten, vielleicht aber schon vermuteten Zukunft zu tun. „Hoffnung ist die Vorstellung einer besseren Zukunft, die idealerweise das Handeln in der Gegenwart leitet. Hoffnung ist eine besondere Form der zeitlichen Erweiterung unserer gegen-wärtigen Erwartungen in die Zukunft hinein,“ formuliert der Philosoph Prof. Markus Gabriel von der Universität Bonn im Tagesspiegel vom 23. Januar 2022.
So hoffen beispielsweise viele, dass die vorgesehenen (aber noch immer nicht umgesetzten) Maßnahmen zur Reduzierung der Erderwärmung eine noch größere Klimakatastrophe verhindern mögen. Genau wissen können wir es nicht, denn wir werden es aufgrund der zeitlichen Verzögerung kaum noch erleben. So basiert der Klimazustand heute auf Emissionen, die vor 30 oder mehr Jahren ausgestoßen wurden.
Nur der Mensch kann hoffen
Die Menschen sind die einzigen Lebewesen, die in der Lage sind, Perspektiven zu wechseln und Wünsche aufzuschieben. Perspektiven wechseln heißt, nicht nur eine, sondern auch andere Sichtweisen auf eine Person oder ein Ereignis, einen Sachverhalt einnehmen zu können: Man kann also alles auch anders sehen.
Wir können hoffen, weil wir in der Lage sind, etwas auch unter dem Aspekt des Möglichen zu sehen: Es gibt eine mögliche andere Variante. Wenn wir Hoffnung haben, so richtet sich diese in aller Regel auf einen Zustand oder ein Verhalten, welches zu einem besseren Zustand, z.B. für die hoffende Person, führt. So habe ich z.B. die Hoffnung, dass ein Krankheitsverlauf milde ausfällt, dass ich bei Geschwindigkeitsübertretungen nicht geblitzt werde, dass mein Geschenk einem anderen Menschen Freude bereiten wird. Ich weiß es nicht und wünsche es mir. Dafür habe ich versucht, mich z.B. in die Person der Geschenkempfängerin hineinzuversetzen (=Perspektivenwechsel), um mir vorzustellen, was dieser Freude bereiten könnte.
Oder ich habe mir als Alternative zu einem schweren Krankheitsverlauf auch die Möglichkeit eines milden vor Augen geführt und hoffe, dass diese Variante eintritt. Mit einer solchen Hoffnung kann ich mein Befinden und auch den Krankheitsverlauf beeinflussen.
Hoffnung basiert inhaltlich auf der individuellen Art der Realitätswahr-nehmung, die mit der persönlichen Geschichte verbunden ist. Die gemachten Erfahrungen, die eigenen Wertesysteme beeinflussen das Denken in Möglichkeiten und damit auch den möglichen Rahmen von persönlicher Hoffnung. Wo der eine Mensch eine Hoffnung entwickelt, bleibt diese Hoffnung dem anderen aufgrund anderer Wahrnehmungsstrukturen verwehrt. Dabei unterscheidet die Hoffnung in beeinflussbare Felder und solche, deren Gestaltung sich dem persönlichen Einfluss entziehen.
Hoffnung beeinflusst die innere Haltung zur Realität: Bin ich hoffnungsvoll, nehme sie anders wahr, bin vielleicht offener, richte mich anders aus – und verändere damit (unbewusst) mein Denken, Verhalten und auch Befinden. So hoffe ich z.B. auf eine gute und unfallfreie Reise und werde deshalb, bewusst oder unbewusst, allzu große Risiken von mir fernhalten. Eine hoffnungsvolle Haltung kann auch die Lebensqualität positiv beeinflussen. Statt meine Aufmerksamkeit nur auf die Fährnisse und Unmöglichkeiten zu richten, nehme ich zumindest ansatzweise auch andere (bessere) Möglichkeiten wahr. Basis der Hoffnung ist hier Vertrauen in eine positive Zukunft.
Hoffnung und Handeln gehören zusammen
Hoffnung ist eine Triebfeder, die uns zum Handeln bringt. Der Protagonist in der Geschichte hat genau diesen Aspekt außer Acht gelassen: Er hat nicht im Sinne seiner Hoffnung gehandelt (die vielleicht deshalb doch eher ein Wunsch war), indem er kein Los gekauft hat. Jeder darf auf einen Lotteriegewinn hoffen, sofern er/sie die Eingangsvoraussetzung erfüllt: Den Kauf eines Loses. Danach entscheidet das Glück.
Im Unternehmenskontext hat z.B. so mancher Vertriebsmitarbeiter von seinem Vorgesetzten schon Sätze gehört wie: „Sie sollen nicht auf bessere Umsätze hoffen, sondern verkaufen!“ Hier wird der Zusammenhang auf der Oberfläche evident, tatsächlich wird das Vertrauen in die eigene Kompetenz und die Hoffnung auf das Gelingen ein wesentlicher Bestandteil des Bemühens und Einfluss auf das Ergebnis haben. „Hoffen auf bessere Zeiten, ein besseres Leben etc.“ ist immer mit Handeln verbunden, wobei man nicht immer auf alle relevanten Faktoren direkten Einfluss hat.
Millionen von Menschen begeben sich auf teils abenteuerliche Fluchten, nehmen lebensgefährliche Risiken auf sich, weil sie woanders auf ein besseres Leben für sich und ihre Kinder hoffen. Sie haben sich „ein Los gekauft“, ob es zum Gewinn führt, ist oft fraglich.
Denn auch Ungewissheit und die Nicht-Erfüllung gehören zur Hoffnung. Bei weitem nicht alles, was wir erhoffen, tritt auch ein. So hoffen wir manchmal vergeblich, dass ein bestimmter Mensch sein Verhalten ändert, das sich bestimmte Verhältnisse zum Guten wenden oder man vor einem Schicksals-schlag verschont bleibt.
Dem stehen unzählige Wirkfaktoren gegenüber, deren Verflochtenheit und Zusammenwirken sehr komplex ist und sich dem individuellen Einfluss entziehen. Falsche Realitätsbewertungen, überhöhte Erwartungen und übersteigertes Wunschdenken sind nur einige davon.
Deswegen spielt die Hoffnung auch bei Planungen oft eine Rolle: Alles wurde so genau wie möglich in die Überlegungen und Berechnungen einbezogen. Damit ist die Grenze der Rechenbarkeit erreicht, für das Gelingen bleibt dann oft nur ein gewisses Maß an Hoffnung
Ohne Hoffnung geht es nicht
Hoffnung ist kein realitätsfernes Element, sondern ein relevanter Bestandteil unseres persönlichen und gesellschaftlichen Lebens. Ohne Hoffnung fehlt ein, wenn nicht gar der wichtigste Teil unserer Lebensqualität, ein wichtiger Antrieb: Das Vertrauen in und die Phantasie für unsere Zukunft.
Sie ist ein relevanter Teil für die Gestaltung eben dieser unserer Zukunft. „Vieles der Irrationalität in der aktuellen höchst kritischen Situation ist eine Konsequenz des Mangels an Hoffnung“, sagt Markus Gabriel im Interview. Statt die Notwendigkeiten unserer Zeit (nicht nur Corona) zu identifizieren und neue Denkmuster und Betrachtungsweisen zu entwickeln, üben wir uns lieber in Kritik, die meist nicht zu Besserem führt, neigen zu einer eher depressiven Interpretation der Lage und konstatieren: Das ist hoffnungslos, da kann man sowieso nichts machen. „Kritik löst keine Probleme, sie zeigt uns nur, wo welche noch nicht gelöst sind.
Wir brauchen einen Diskurs der Hoffnung und der Freundschaft!“ (Markus Gabriel) Er plädiert für ein Ministerium der Hoffnung: „Dort würden Szenarien entwickelt, die zu neuer Hoffnung führen, Szenarien für die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche.“ Damit würden im besten Falle auch kollektive Vorstellungen verändert und damit die Grundlage für ein zielführendes Handeln entwickelt.
Der Protagonist der Geschichte hat seine Zukunft voll Vertrauen und verbunden mit einer bestimmten Hoffnung in die Hände seines Gottes gelegt und leider auf ein wesentlichen Einflussfaktor verzichtet: Das Handeln. Nun ist es sicher nicht so, dass man mit Hoffnung alles erreichen kann, nur der Glaube versetzt angeblich Berge (ist aber ein enger Verwandter der Hoffnung). Dennoch sind wir gut beraten, der Hoffnung wieder mehr Raum zu geben: Es kommt sowieso, was kommen muss, wichtig ist, wie wir dem begegnen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein nach Ihren Maßstäben gutes Jahr, getragen von der Hoffnung auf „bessere Zeiten“!
Thomas Zimmermann
und das Team von synthesis
Noch eine kleine Geschichte, die Paolo Coelho in der Sammlung „Krieger des Lichtes“ erzählt und die ich nur aus dem Gedächtnis wiedergeben kann: Zwei Priester werden politisch verfolgt und entkommen immer wieder ihren Häschern. Eines Tages werden sie doch gefasst und in den Kerker geworfen.
Es droht ihnen die Todesstrafe. Während der eine nun ängstlich umhergeht und sein nahendes Schicksal beklagt, sitzt der andere ruhig da und ist gelassen. Sein Mitbruder fragt ihn, ob er denn keine Angst habe. Er antwortet: „Die Zeit der Angst war bis gestern, jetzt ist die Zeit der Hoffnung!“
Und noch ein Nachtrag: Nachdem der Brief fertig war, brach Putin das Völkerrecht und überfiel die Ukraine trotz vorheriger gegenteiliger Aussagen. Erinnern Sie sich? „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“. Wichtiger denn je ist deshalb die Hoffnung, dass es Menschen gibt, die in der Lage sind, Putin zu erreichen.
Ebenso das persönliche Handeln im Bereich der individuellen Möglichkeiten, auch im Rahmen von Hilfe und Unterstützung. Sonst droht dem Einzelnen die Gefahr, von Sorge und Angst gelähmt und denk- sowie handlungsunfähig zu werden.