Wenn Sie regelmäßig die Nachrichtensendungen im Fernsehen verfolgen, geht es Ihnen derzeit vielleicht wie mir: Ich habe den Eindruck, dass die für die Sendung zur Verfügung stehende Zeit gar nicht ausreicht, um die aktuellen Katastrophen und Herausforderungen auch nur im Ansatz darstellen zu können: Ukraine, Griechenland, Syrien, Europas Wirtschafts- und Geldpolitik u.v.m. Vieles hat sich noch nicht erledigt, ist aber schon wieder aus dem Fokus der Aufmerksamkeit gerutscht:
- Die furchtbaren Attentate von Paris, deren Ursachen und Wurzeln sich nicht durch Zeitablauf erledigen (auch wenn wir inzwischen nicht mehr Charlie sind);
- die Pegida-Bewegung, die sich derzeit zwar selbst zerlegt, damit ist aber das Anliegen noch lange nicht bearbeitet oder gar erledigt;
- die Ebola-Epedemie, Flüchtlingsdramen, Vervielfachung der Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingseinrichtungen in unserem Land u.v.m.
Aus den Augen, aus dem Sinn, aber damit noch lange nicht aus der Welt: Manches meldet sich wieder zurück, wie z.B. der Konflikt Bahn-Lokführer oder Lufthansa – Piloten. Nichts ist uns so treu wie die unbearbeiteten Konflikte unseres Lebens. Alles hat Wurzeln, eine Geschichte, ein Vorher und ein Nachher, ist eine Konsequenz aus Vorangegangenem: Das Heute ist das Ergebnis von Gestern und die Historie von Morgen.
Konsequenz – das ist auch immer wieder ein Thema in unseren Unternehmen und Organisationen. Meist wird das Wort im Kontext „Etwas konsequent durch- oder umsetzen“ benutzt, auch im Kontext mit Führung. Umgangs-sprachlich meint man damit die Zielstrebigkeit im Handeln einer Person. Physikalisch spricht man von einer Ursache-Folgen-Beziehung, was in Richtung der Kausalität geht. Formallogisch wird ebenfalls ein Zusammenhang beschrieben: Wenn A, dann B bzw. A bedingt B. Diesem Sinne folgen meine Überlegungen.
Das Handeln oder Nicht-Handeln von Mitarbeitern im Unternehmen ist auch die Folge vorangegangener Handlungen bzw. Unterlassungen des Unternehmens und/oder der Führungskräfte. Die Situation, die wir heute im Unternehmen antreffen, ist das Ergebnis vorausgegangener Entscheidungen, denn wir leben in einem Kontinuum, und das Morgen beruht auch auf Entscheidungen von heute. Selbstverständlich spielen im Heute auch noch viele äußere Faktoren wie bspw. Kunden- und Marktverhalten eine Rolle, ebenso der persönliche Lebenskontext einer jeden beteiligten Person. Da man im betrieblichen Kontext als Führungskraft in aller Regel auf diese persönlichen Faktoren sowie Kunden- und Marktverhalten einen unterschiedlich großen Einfluss hat, richten wir den Fokus an dieser Stelle diesmal mehr die unternehmensinternen Vorgänge.
Im (kollegialen) Coaching beklagen immer wieder Führungskräfte bestimmte, in ihrer Wahrnehmung ungeeignete oder sogar destruktive Verhaltensweisen von Mitarbeitern. Diese Klage beinhaltet jedoch nur eine Ausschnittbetrachtung, die Vorangegangenes und Umgebendes in aller Regel außer acht lässt. Niemand verhält sich, wie bereits erwähnt, „nur so“, sondern alles hat eine Ursache, eine Vorgeschichte, (die nicht immer zwangsläufig nur mit der Führungskraft zu tun hat). Da das gezeigte Verhalten deshalb als Konsequenz betrachtet werden kann, ist meine erste Frage bei solchen Klagen meist: Was hat das mit Ihnen als Führungskraft, mit Ihrem Verhalten zu tun? Was haben Sie getan oder unterlassen, dass sich bei dem/der MitarbeiterIn ein solches Verhalten zeigt? Was ist Ihr Anteil an dieser Situation? Auch: Welche weiteren Faktoren wirken auf die Situation ein? Damit wecke ich bei den Angesprochenen allerdings selten Sympathie, schließlich steht der/die „Schuldige“ in ihrer Wahrnehmung bereits fest. Ich behaupte auch nicht, dass die Führungskraft unbedingt „schuld“ an der Situation ist, aber ohne deren Ein- bzw. Mitwirkung wäre die Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit so nicht entstanden. Beispiele:
- Im Unternehmen, im Team oder einer Abteilung ist schlechte Stimmung und/oder Leistungsabfall. Welche internen und externen Faktoren haben hier einen Einfluss (gehabt), aber vor allem: Was hat das mit der Unternehmenskultur, mit der Führungsarbeit, mit der Informationspolitik und der internen Kommunikation zu tun? Was wurde hier getan oder nicht getan, dass es dazu kommen konnte? Hier ist man gut beraten, wenn man die Aufmerksamkeit nicht nur auf den Ist-Zustand, sondern auch auf die Ursachen und die Konsequenzen von beabsichtigten Maßnahmen in der Zukunft lenkt.
- Eine Umstrukturierung oder Fusion steht an. Externe Experten haben in Zusammenarbeit mit internen Führungskräften eine unter funktionalen Gesichtspunkten hocheffektive neue Struktur entworfen. Was aber wird getan, damit die Akzeptanz dieses Vorhabens bei den Betroffenen möglichst hoch und der mögliche (motivationsbedingte) Leistungsabfall möglichst gering ist? Oder ziehen es die Entscheider vor, lieber später über die unverständigen Mitarbeiter zu klagen?
Denken in systemischen Zusammenhängen und in Konsequenzen ist in der Führungsarbeit nach meiner Beobachtung nicht immer vorhanden bzw. wird zu wenig geübt. Oft fehlt auch die Zeit für eine gründliche Betrachtung der Zusammenhänge, denn das Tagesgeschäft verlangt nach Geschwindigkeit und schnellen Resultaten. Da bleiben dann im Führungshandeln psychische Verletzungen und Demotivation nicht aus, egal was im Unternehmensleitbild über den Umgang mit Mitarbeitern steht. So kann es immer wieder passieren, dass man auf der Basis der Ausschnittbetrachtung schnell eine Maßnahme ergreift und sich anschließend über die Kolateralschäden wundert. Dabei gilt: Jeder Eingriff in das System hat Folgen, und jede Führungskraft ist gut beraten, diese so gut wie möglich zu bedenken. Das bedeutet nicht, dass man vor lauter Systembetrachtung nicht mehr zum Handeln kommt, sondern nur, dass man möglichst in Konsequenzen (mit-)denkt und das Verhalten entsprechend einrichtet bzw. die Konsequenzen dann auch trägt.
Unternehmen und Führungskräfte haben oft den Wunsch nach motivierten und engagierten Mitarbeitern. Können sie haben, denn jeder Mensch ist prinzipiell motiviert (siehe Reinhard Sprenger, Mythos Motivation) und durchaus auch bereit und in der Lage, sich zu engagieren. Motivierte und engagierte Mitarbeiter sind aber auch eine Konsequenz vorausgegangenen Führungshandelns. Es braucht also zuvor es einen Impuls, ein lohnendes Ziel, eine entsprechende Atmosphäre in der Organisation. Wenn sich Menschen nicht motiviert und engagiert verhalten, hat das sicher etwas mit ihrer aktuellen Situation und/oder ihrer Persönlichkeitsstruktur zu tun, es ist aber auch eine Konsequenz aus etwas (nicht) vorangegangenem: Da fehlt vorne was. Das bedeutet beispielsweise für die Führungsarbeit, sich zu überlegen, wie man eine motivierende und zu Engagement anregende Atmosphäre schafft. Was nicht oder allenfalls kurzfristig hilft, ist Geld. Interessante Aufgaben, Abwechslung, Zuwendung, Aufmerksamkeit und Anerkennung helfen da schon deutlich mehr. Aus meiner Beratererfahrung kann ich Ihnen sagen: Ich habe Atmosphären und Kulturen in Unternehmen erlebt wo ich mich wunderte, dass die Leute überhaupt noch zur Arbeit kamen und die Höhe des Gehalts auch nicht mehr als Schmerzensgeld taugte.
Viele Menschen haben mehr oder minder große Wünsche, sind aber oft nicht bereit, die mit diesem Wunsch verbundenen Konsequenzen zu tragen, also am Anfang oder am Ende den Preis (Engagement, Arbeit, Verzicht usw.) dafür zu bezahlen. Glücksspiele aller Art leben davon, dass sie suggerieren: Ich muss nicht viel tun und bekomme mit etwas Glück doch den ersehnten Preis. Dass dies aber nur für wenige unter Millionen gilt, die das große Los gezogen haben, wird ausgeblendet. Der günstige Ratenkredit verführt dazu, sich zu übernehmen, denn das Produkt bekomme ich sofort – die Konsequenz jahrelanger Ratenzahlung wird ausgeblendet.
Die Bereitschaft, die Verantwortung für eigenes Handeln und eigene Entscheidungen und die daraus resultierenden Konsequenzen zu tragen, fehlt nach meiner Beobachtung immer mehr:
- Da gibt es immer wieder Entscheider, die durch Fehlentscheidungen u.U. eine Organisation ruinieren und Arbeitsplätze vernichten und anschließend viel Geld in Anwälte investieren können, die dabei helfen, nachzuweisen, dass sie „nicht schuld“ an diesem Desaster sind, beispielsweise Hypo Real Estate.
- Da werden anspruchsvolle Arbeitsergebnisse verlangt, den Mitarbeitern die dafür erforderlichen Mittel nicht oder nur teilweise gewährt.
- Da werden im öffentlichen Bereich große Projekte angeschoben und dann die Kosten des Scheiterns der Projekte dem Steuerzahler aufgegeben. Man denke hier z.B. nicht nur an BER, sondern auch die Bankgesellschaft Berlin und viele andere Projekte.
- Da werden auf Parkplätzen Fahrzeuge beschädigt, und der Schädiger verschwindet still und leise, ohne dem Geschädigten wenigstens eine Nachricht zukommen zu lassen.
Für die m.E. immer weniger vorhandene Bereitschaft, in Konsequenzen zu denken und vor allem Konsequenzen zu tragen, liegt beispielsweise darin, dass es da und dort an Vorbildern und einer gelebten Selbstverständlichkeit fehlt. Wann passiert es schon mal, dass ein Verantwortlicher, der im öffentlichen Rampenlicht steht, nach dem Scheitern wirklich zu seiner Verantwortung steht und ggf. den Hut nimmt? Ein weiterer Grund mag sein, dass das Denken im System und in Zusammenhängen immer schwieriger wird, weil die Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen auch immer schwieriger wird. Es kann auch sein, dass jemand schlechte Erfahrungen bei der Übernahme von Konsequenzen gemacht hat (Konsequenzen sind nicht immer gerecht) und sich sagt, dass er/sie es das nächste Mal sicher anders machen wird.
Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass – das geht nicht, wie wir alle wissen. Im Unternehmenszusammenhang und ganz besonders in der Führung sind wir gut beraten, den Aspekt der Konsequenz sowohl in der Analyse als auch in der Planung von Führungshandlungen ausreichend zu berücksichtigen. Auch im Sinne der Vorbildwirkung sind Führungskräfte gut beraten, sich zu stellen und die Konsequenzen für ihr Verhalten zu tragen. Wenn Sie sich darüber austauschen wollen – Sie wissen ja, wo Sie uns finden.
Einen guten Weg im neuen Jahr wünscht Ihnen
Ihr Thomas Zimmermann
und das Team von synthesis