Unter dem Titel „Joschka und Herr Fischer“ läuft in diesen Tagen in deutschen Kinos ein Film über die wundersame Wandlung eines früheren Frankfurter Straßenkämpfers zu einem in aller Welt hochgeachteten Außenminister. Der sehenswerte Film, der durchaus geeignet ist, die Eitelkeit des Protagonisten zu befriedigen, hat einen, auch von ihm einmal geäußerten, Satz wieder in den Fokus gerückt, der nachdenklich stimmt :“Das Amt verändert den Menschen schneller als der Mensch das Amt.“
Wie richtig diese Erkenntnis war und ist, konnte man am besten an seinem eigenen Beispiel sehen. Nur – was passiert da? Wie und warum passiert das? Muss das so sein, oder kann es auch anders gehen?
„Seit er/sie Chef geworden ist, ist sie/er völlig anders“, klagen oft ehemalige Kollegen, wenn sie einen der Ihren an die Führungsetagen „verloren“ haben. Und meist liegen sie richtig, denn die Anforderungen für Führungskräfte sind in vielen Teilen nun einmal anders als für MitarbeiterInnen. Nicht umsonst werden für den Übergang in die Führung unterstützende Seminare mit Titeln wie „Heute KollegIn – morgen ChefIn“ angeboten, um die neuen Vorgesetzten auf ihr neues künftiges Arbeitsleben vorzubereiten. Veränderungen in der Persönlichkeit können aber nicht nur eingangs der Führungskarriere stattfinden, sondern auch von Stufe zu Stufe, nicht zuletzt deswegen, weil sich die Verantwortlichkeiten und damit oft die Belastungen, aber auch Machtfülle und Einfluss verändern. Und die aus Macht und Einfluss resultierenden Verlockungen sind groß: Je höher jemand steigt, desto mehr verringern sich oft die ihm/ihr entgegengebrachten Widerstände, und die Menschen um einen herum trauen sich nicht mehr, auf kritische Sachverhalte hinzuweisen. Wer möchte schon der Miesepeter sein? Wenn die Führungskraft nicht aufpasst, kann bei ihr ein gewisser Realitätsverlust eintreten und sie bekommt zunehmend das Gefühl, oft sogar subjektive Gewissheit, ihr Verhalten und ihre Entscheidungen seien richtig. Reale Verhältnisse werden ignoriert, und irgendwann tritt der Zustand ein, den weiland Franz-Josef Strauß so trefflich formulierte: „Mir ist völlig egal, wer unter mir Bundeskanzler ist!“. Auf der Mitarbeiterseite etabliert sich ein anderer Prozess: Man sagt dem Chef, was er hören will und macht selbst, was man für richtig hält.
Wie und auf welchen Ebenen verändert das Amt nun wirklich seinen Inhaber? Zwei Systeme treffen aufeinander: Da ist zum einen die Führungskraft mit ihrer Persönlichkeit, welche von Erfahrungen, Wünschen, Stärken, Entwicklungsfeldern u.v.m. definiert wird. Zum anderen gibt es in der Organisation viele Subsysteme wie Regeln und Kultur, Ziele und Ressourcen, Geschichte und Annahmen über die Realität u.v.m. Rückt nun eine Person in die Führungsetagen auf, wird eine zunehmende persönliche Identifikation mit den Organisationsspezifika erwartet, und ein persönliches Dilemma kann entstehen: Was man vorher mehr oder minder heimlich mit Kollegen betrieben hat (z.B. das unerlaubte Verlängern der Mittagspause ohne Gegenleistung an die Organisation), ist aus der Sicht der Führungskraft verurteilenswert und sollte von ihr geahndet werden. Geht die Führungskraft dieser Verantwortung nach, erntet sie nicht selten Aussagen wie „Früher hast Du das doch auch so gemacht, nun spiel Dich nicht als Chef auf!“. Die ersten Einsamkeitsgefühle in der Führung können sich einstellen, zusammen mit der Frage: Ist es mir das wert? Das Dilemma verstärkt sich mit der Zeit immer mehr, und alle Erfahrung zeigt, dass sich Führungskräfte im Zweifelsfall der Machtseite zuwenden (auch wenn sie sich damit nicht so wohl fühlen), um so dem Dilemma zu entgehen.
Einflussfaktoren der Veränderung
Wie sehen die Bedingungen, denen sich Führungskräfte oft ausgesetzt sehen, in der Praxis aus? Da gibt es beispielsweise Führungsregeln, die besagen, wie man „richtig“ seinen Führungsjob wahrnimmt. Zwischen dem caritativ verständig-empathischen und dem autoritär-fordernden Stil präsentiert sich eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten, von denen meist nur einige wenige von der Organisation akzeptiert werden. Sprechverbote stellen beispielsweise eine (unausgesprochene) Regel dar: Es ist z.B. in der Organisation nicht üblich, über die besonderen Belastungen der MitarbeiterInnen zu sprechen, die Devise heißt vielmehr: „Alles geht!“ Zumindest dann, wenn man nach oben berichtet, ist man gut beraten, alles als machbar darzustellen. Dem früheren Bahnchef Hartmut Mehdorn wird nachgesagt, er habe auf seinem Schreibtisch ein Schild stehen gehabt mit der Aufschrift: Bringen Sie mir keine Probleme, bringen Sie mir Lösungen! Vermutlich ist in dieser seiner Haltung auch ein Grund für die Probleme der Bahn zu finden. Wenn man nicht mehr weiß, was „im Laden“ los ist, trifft man allzu leicht die falschen Entscheidungen.
Steigende Anforderungen an Quantität und Qualität von Arbeit und Ergebnissen setzen die Führungskräfte ebenfalls unter Druck, zumal oft kein weiteres Personal zu finden ist oder nicht eingestellt werden darf. Der Führungskraft kommt nun die Aufgabe zu, den MitarbeiterInnen das Unmögliche als möglich zu „verkaufen“ und dabei noch gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Manchmal kann er/sie sogar auf das Verständnis der Mitarbeiterseite zählen: „Mein Chef weiß auch, dass das so nicht geht, aber er hat halt keine anderen Möglichkeiten“. Müde Durchhalteparolen wie „Das schaffen wir“ oder, wird eine Stufe erreicht, die aufmunternde Aussage: „Sehen Sie, es geht doch“ wirken dann eher zynisch und demotivierend. Vor allem gilt es, sich vor FührungskollegInnen keine Blöße zu geben. Das jeweils aktuelle Idealbild der Führungskraft wird entweder von oben repräsentiert (früher lief im schwäbischen mittelständischen Maschinenbau das Führungsleitbild jeden Morgen im blauen Kittel durch die Hallen) oder durch entsprechende Verlautbarungen bekannt gegeben. Wer dazugehören und in der Organisation als Führungskraft überleben will, tut gut daran, sich das sehr genau anzusehen und sich nicht allzu deutlich davon abzuheben.
Und genau an dieser Stelle beginnt ein weiteres zentrales Dilemma der Führungskraft: Angetreten, gemeinsam mit anderen und möglichst kooperativ Ziele zu erreichen, stellt sich schon bald heraus, dass man der ehemaligen Kollegenbasis nicht mehr angehört und in der Führungsebene auch nur Aufnahme findet, wenn man sich den dort geltenden Regeln und Ritualen unterwirft. Andernfalls tut sich ein gewaltiger Spalt auf, in den man schnell versinken kann. Und wer will das schon? Nein, Menschen als soziale Wesen wollen dazu gehören, und wenn nicht der Mitarbeiterebene, so doch der Führungsebene! Dieser Konformitätsdruck lastet schwer auf dem einen oder anderen.
Schritte der Veränderung
Stück für Stück und meist schleichend beginnt nun die Persönlichkeits-veränderung. Am Anfang werden die vielleicht auftretenden Bedenken, ob das alles und insbesondere das Führungshandeln wohl so richtig ist, noch rational besänftigt mit Hinweisen auf Marktgegebenheiten und Erfordernissen des Organisationsüberlebens. Scheinbar hilfreich sind dann auch Aussagen wie „Das war schon immer so“, denn man weiß es aufgrund von Unerfahrenheit oft nicht besser. Unmerklich schwindet die kritische Distanz zur Organisation und zu sich selbst. „Willst Du den Charakter eines Menschen erkennen, dann gib ihm Macht“, soll Abraham Lincoln formuliert haben. „Auf dem Weg nach oben schwindet erst die Urteilskraft und dann der Charakter“, schreibt Jörg Albrecht in der FAZ. Und der Sozialpsychologe Dacher Keltner von der University of California in Berkeley meint, dass Macht das Denken banalisiere und Mächtige Gefahr liefen, die Dinge nur noch aus dem Blickwinkel ihres Eigeninteresses zu betrachten. In einem seiner Versuche wies er nach, dass Führungskräfte Schummeleien bei der Reisekostenabrechnung ihrer MitarbeiterInnen als schweres Vergehen ansahen. Bot man Ihnen selbst aber die Gelegenheit, die eigenen Abrechnungen nach oben zu manipulieren, legten sie durchschnittlich 20% drauf. Auch die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen (Empathie), scheint rasch abzunehmen, hat man die Führungsposition erst mal erreicht. In Keltners Experimenten waren die Schwachen stets besser darin, Ansichten und Motive ihrer Mitmenschen korrekt einzuschätzen als die Führungspersonen (FAZ). Für Entscheidungsträger ist es eben oft nur wichtig, dass etwas geschieht: Power und Action spielen eine große Rolle und können zumindest oberflächlich dazu betragen, die eigene Spannung ein wenig abzubauen im Gedanken, dass doch etwas passiert.
Muss das so sein? Muss man einfach hinnehmen, dass das Amt seinen Inhaber verändert (negativ und auch positiv!) und kann man daran gar nichts machen? Ist das unausweichlich? Sicher ist, dass das Amt, wie jede Aufgabe übrigens auch, seine/n TrägerIn beeinflusst und auch verändern kann. Nicht jeder Lehrer entwickelt sich zum Alleswisser und nicht jeder Neunmalkluge wird Lehrer. Sicher ist, dass man sich in Organisationen, will man darin überleben und vielleicht auch etwas verändern, gut daran tut, sich den Ritualen und Gepflogenheiten ein Stück weit anzupassen. Tatsache ist aber auch, dass man sich und die Organisation nur mit einem gewissen Maß an kritischer Distanz weiterentwickeln kann. Die Geschichte hat vielfach gezeigt, dass Organisationen, die jegliches abweichende Denken und Handeln in ihren Reihen ausschlossen, deshalb früher oder später ihr Ende gefunden haben. Für die Führungsarbeit bedeutet das, nicht die Bodenhaftung zu verlieren: „Mensch, bedenke, dass Du sterblich bist!“ flüsterten im römischen Reich die Begleiter des siegreichen Feldherrn im Triumphzug diesem auf dem Wagen ins Ohr und erinnerten ihn daran, dass auch er nur ein Mensch ist.
Diese Art von Veränderung muss nicht sein!
Wie können Führungskräfte bei sich bleiben, ihre Werte erkennen, erhalten und/oder behutsam modifizieren, ihre Authentizität stärken? Wie können sie sich davor schützen, in Verhaltensweisen, die sie in der Rolle als MitarbeiterIn nicht schätzten, als Führungskraft selbst zu verfallen?
Hilfreich ist, wenn sich Führungskräfte immer einmal wieder mit Fragen wie den folgenden auseinandersetzen (Auswahl):
- Was ist das Ziel meiner Führung?
- Was will ich für die Organisation, was für die MitarbeiterInnen und was für mich mit meiner Führungsarbeit erreichen?
- Warum ist mir das wichtig?
- Was sind meine Werte in der Führung, auf die ich nicht verzichten kann und will?
- Was ist der Preis, den ich bezahlen muss, wenn ich in dieser meiner Art in der Organisation führen will?
- Bin ich bereit, den Preis zu zahlen?
- Kann und will ich Kompromisse machen, wann und welche?
- Was sind häufig wiederkehrende Herausforderungen in meiner Führungsarbeit, sowohl seitens der Organisation wie auch der MitarbeiterInnen, und wie kann ich diesen in Anwendung meiner Prinzipien erfolgreich begegnen?
- Wann ist es Zeit für mich, zu gehen?
Gutes Feedback können auch MitarbeiterInnen geben, entweder im direkten Gespräch (z.B. Jahresgespräch) oder im institutionalisierten Führungsfeedback. Äußerungen wie: „Privat ist er ja ganz nett, aber als Vorgesetzte/r …“ können darauf hinweisen, dass vielleicht Inkongruenz vorliegt und sich Eigenreflektion lohnen könnte. Lebenspartner haben oft auch ein gutes Gespür für positive und negative Veränderungen und können gehört werden. Ein temporär begrenztes Coaching kann ebenfalls Klarheit schaffen. Einen Tipp halten auch noch die Märchen aus 1000 und einer Nacht bereit: Dort schleicht sich der Kalif nächtens verkleidet aus dem Palast und mischt sich unter das Volk, um deren Meinungen und Stimmungen zu erfahren. Heute heißt das Management by walking around.
Und der Nutzen? Alle Untersuchungen zur Burnoutproblematik machen deutlich, dass der Verlust des Identitätsgefühls und der eigenen Kongruenz einen Burnout beschleunigen. Stellt man mit der regelmäßigen Reflektion sicher, „noch bei sich zu sein“, kann damit wirksam dem Burnout entgegengetreten werden. Außerdem bleiben die Beziehungsqualität zum gesamten Umfeld und die Wirksamkeit des Führungshandelns insgesamt erhalten. Und nicht zuletzt und besonders wichtig: Die persönliche Zufriedenheit und Leistungskraft bleiben erhalten bzw. werden gesteigert.
Wenn Sie mögen, können wir gerne über die aktuelle Situation in Ihrem Unternehmen und auch Ihre eigene einmal unterhalten. Meine Kollegen und ich freuen uns auf das Gespräch!
Herzliche Grüße und einen schönen Sommer
Ihr
Thomas Zimmermann