„Dieses Land hat das große Problem, dass es politisch korrekt ist. Ich habe keine Zeit für politische Korrektheit. Und dieses Land hat diese Zeit auch nicht!“ Na – wer sagt so was? So schwer ist es aktuell nicht, den Urheber zu erraten – „The Donald“ Trump natürlich (Spiegel Nr. 45 v. 05.11.2016). Damit hat der designierte amerikanische Präsident die Marschrichtung seiner Präsidentschaft vorgegeben – political correctness (und vermutlich überhaupt Korrektheit) gehört jedenfalls nicht dazu. Manche sagen jetzt: Lasst ihn doch erst mal machen, so schlimm wird es nicht werden, schließlich sind die USA in Bündnisse und Verträge eingebunden! Von diesem Satz ist die erste Hälfte blauäugig und nur die zweite wahr, aber genau diese Wahrheit spielt keine Rolle. Trump hat in vielen Äußerungen bereits deutlich werden lassen, dass er sich für so etwas wie Verträge und Abmachungen nicht interessiert („Ich werde jedes Wahlergebnis akzeptieren, so lange ich gewinne!“). In seinen geschäftlichen Aktivitäten lassen sich unzählige Vertragsverletzungen nachweisen, von denen nur ein Teil seitens der Justiz verfolgt wird, und seine Immunität als Präsident wird diese Verfahren erst mal zum Erliegen bringen.
Berlusconi lässt grüßen, wir in Europa kennen das. Barack Obama hat bei seinem jüngsten Besuch in Deutschland genau auf dieses Sich-nicht-an-die-Regeln-Halten hingewiesen, indem er Trump prophezeit hat, dass seine Präsidentschaft nicht von langer Dauer sei, wenn er sich nicht an Verträge hält. Allein die Tatsache, dass Obama darauf hinweist, lässt vermuten, was er Trump zutraut. So ist auch Trumps Umgang mit Menschen zu erklären: Verdiente Unterstützer aus dem Wahlkampf und Mitarbeiter aus seinem Vorbereitungsteam werden gefeuert und durch andere, noch rechtere ersetzt – die sich aber auch nicht sicher fühlen können, denn Zusagen oder Verdienste zählen – siehe oben – nichts.
Verträge und Abmachungen sind nur etwas wert, wenn die beteiligten Parteien bereit sind, sich an Regeln zu halten. So weit nicht neu. Neu ist, dass sich seit kurzem manche ganz offen nicht daran halten oder ankündigen, sich nicht daran halten zu wollen, neu ist, dass die Lüge hoffähig geworden ist, wenn es gilt, eigene Ziele zu erreichen. Ich mache mir Sorgen, dass wir vor einer Kulturwende stehen: Werte wie Wahrheit, Aufrichtigkeit, Vertrauen und andere, welche die Bindeglieder in einem sicheren Zusammenleben aller Menschen darstellen, spielen keine Rolle mehr, zentrale Stützpfeiler unserer Gesellschaft gehen verloren! Eine deutliche Kostprobe haben wir bei der Kampagne um den Brexit erhalten, wo die Befürworter mit Lügen um den schädlichen Einfluss Europas auf die Zukunft Großbritanniens Wähler gewannen – und das gegen jede faktengestützte und die Behauptungen als Lügen entlarvende Argumentation! Zumindest einige Menschen wussten, dass die Behauptungen von Nigel Farage, Boris Johnson und ihren Leuten objektiv gelogen waren – und haben sie dennoch gewählt! Und das ist wirklich neu: Eine zunehmend größere Gruppe von Menschen wendet sich wider besseres Wissen den Wahrheitsverdrehern und „Weltvereinfachern“ zu. Warum? Um den Etablierten eins auswischen? Große Enttäuschung, über Jahre aufgebaut? Sehnsucht nach Orientierung? Auch Trump schreckte im Wahlkampf vor Lügen und Intrigen nicht zurück und wird es auch künftig nicht tun. Obwohl viele seiner Behauptungen widerlegt werden konnten, haben ihn die Menschen gewählt. Und wenn man mal im Amt ist, braucht man sich „um das dumme Geschwätz von gestern“ ja nicht mehr zu kümmern. Auch in Deutschland haben wir solche Exemplare. Noch ist ihr politischer Einfluss gering, aber er wächst …
Nun mögen Sie sagen, dass in der Politik schon immer gelogen wurde und man das tagtäglich erleben könne, die Lektüre der Tageszeitung werde genügen. Und Sie werden zahlreiche Beispiele nennen können („Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“ … „Ich hatte keine sexuelle Beziehung mit dieser Frau“ … usw. Auch in Untersuchungsausschüssen wird gelogen oder „sich nicht erinnert“, dass sich die Balken biegen). Leider werde ich Ihnen auch nicht widersprechen können, so gerne ich es täte. Aber bei all diesen Geschichten: Sie haben vielleicht eine oder mehrere Personen oder auch ein Amt beschädigt, nie aber das ganze System in Frage gestellt! Selbst der oft schillernde Franz-Josef Strauß hatte u.a. auch diesen Wert: Pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten (also auch die vorangegangener Regierungen). Gelogen und betrogen wurde schon immer. Was jetzt völlig neu und brandgefährlich ist, ist das Folgende: Es gab immer einen Kontrast, ein Wertesystem und akzeptierte Regeln, an denen Lug und Trug erkannt und als solche bezeichnet werden konnten. Jetzt laufen wir Gefahr, dass diese Kontrastierung im Bewusstsein vieler verloren geht. Deutlich wird das in Sätzen, die beginnen mit: „Man wird doch noch mal sagen dürfen …“ gefolgt von Ungeheuerlichkeiten, denen diese Einleitung der Aussage einen harm-losen Anstrich geben sollen. Eines ist klar: Wenn die Kontrastierung, das Wertesystem, die Regeln eines respektvollen Zusammenlebens und Akzeptieren anderer Perspektiven, wie es in einer Demokratie zum guten Ton gehört, in den Hintergrund treten oder keine Rolle mehr spielen, übernimmt problemlos die Lüge den Platz der Wahrheit, und die Orientierung für alle Menschen geht verloren. Donald Trump gebührt hier das Verdienst, mit seinem Wahlkampf den Anfang des Kulturwandels gemacht zu haben: Selbst wenn es in seiner Präsidentschaft „gar nicht so schlimm“ wird, mit seinem Verhalten und seinen Äußerungen hat er bereits die Kultur vergiftet und den Weltvereinfachern die Tür geöffnet. Und ich gebe zu bedenken: Er hat den Wählern viele Versprechungen gemacht und wird nicht darum herum kommen, zu liefern. Dann werden wir sehen, wie schlimm es wirklich wird.
Werfen wir noch einen Blick in die Tiefe und fragen uns, was die Triebfedern hinter dieser Entwicklung sind. Da ist zum einen festzustellen, dass jede Entwicklung einen Nährboden, einen Raum braucht, sonst findet sie nicht statt. Wenn die Menschen also enttäuscht sind von Politik und auch Wirtschaft, so hat das auch mit den Erlebnissen, die sie mit dieser Welt aus ihrer Perspektive gemacht haben, zu tun: Wahlversprechen werden nicht eingehalten, VW baut 30.000 Stellen ab und die Manager bekommen Boni usw. Es gibt aber noch weitere individuelle Ursachen für solche Einstellungen und solches Verhalten:
- Die Welt ist in der Wahrnehmung vieler Menschen durch Internet und Globalisierung immer komplexer und unübersichtlicher geworden, hier noch Orientierung zu finden bzw. zu halten, ist sehr schwierig.
- Unsere politischen und wirtschaftlichen Eliten haben oft den Kontakt zu den „Menschen da draußen“ verloren und wissen dann nicht richtig, was im Land bzw. in den Unternehmen wirklich vorgeht.
ad 1: Die zunehmende Komplexität der Welt wird sich wohl kaum zurück-drängen lassen und macht verständlich, dass die Menschen nach einem Rahmen suchen, der für sie verständlich ist, ihnen Halt gibt und den sie überblicken können. Genau diesen Rahmen bieten ihnen die Demagogen auf der rechten wie auf der linken Seite. Das Problem vieler Mitarbeiter, in unternehmerischen Zusammenhängen zu denken, hat ähnliche Ursachen (Unternehmen sind ja ebenfalls sehr komplex) und führt dazu, dass man das Augenmerk eben nur auf das eigene, einigermaßen überblickbare Aktionsfeld richtet, in dem man ja auch bewertet wird. Auch Gewerkschaften und Betriebsräte lassen sich in ihrer ohne Zweifel sehr wichtigen Arbeit m.E. gelegentlich von einer oft unzulässigen Vereinfachung der Zusammenhänge verführen, um so ihre Klientel hinter sich zu scharen. Die aktuelle Diskussion um die „Armut im Alter“, mit der Gewerkschaften in den Bundestags-wahlkampf ziehen wollen, mag hier ein Beispiel sein. Um mit diesen Gegebenheiten einigermaßen konstruktiv umzugehen, eröffnen sich nach meiner Meinung sowohl für die Gesellschaft wie auch für die Unternehmen und den dort Verantwortlichen riesige Aktions- und Aufgabenfelder, soll eine unzulässige (und in der Konsequenz oft auch schädliche) Vereinfachung verhindert und die Menschen in der Organisation zu übergreifendem Denken in Zusammenhängen ermuntert werden – beides Erfordernisse, an denen wir nicht vorbeikommen.
ad 2: Sind unsere Eliten zu weit von der Realität weg? Wenn man so manches Ereignis aus der jüngeren Vergangenheit betrachtet, drängt sich der Verdacht schon auf: Hohe Boni bei schlechten Geschäftsergebnissen einstreichen, zahlreiche Entscheidungen, die nicht dem Wohl des Unternehmens, sondern eher dem des Entscheiders zuzuordnen sind (wozu entsprechende Vergütungs-systeme auch ihren Beitrag leisten), Besetzung von hochrangigen bzw. bedeutenden Stellen nicht mit fachkompetenten Personen, sondern mit solchen, denen man etwas schuldig ist oder zu sein glaubt (auch in der Politik) – da drängt sich der Eindruck der Entkopplung Mensch – soziale Umwelt schon auf. Jüngst meldet das „Manager Magazin“, dass nach einer Umfrage von Transparency International ein Drittel der Deutschen glaubt, die meisten Führungskräfte in Deutschland seien korrupt – woher auch immer diese Sichtweise herkommen mag. Damit halten wir in Europa den – allerdings traurigen – Rekord! Und wenn die Menschen in den Unternehmen das Gefühl bekommen, einerseits vieles nicht zu verstehen und gleichzeitig den Eindruck gewinnen, dass Ihnen die Wahrheit vorenthalten wird und dann noch verein-fachende Welterklärer kommen, ist die Neigung, diesen zu folgen, groß – schließlich hat man das Gefühl, endlich mal etwas zu verstehen und Stellung beziehen zu können.
Kulturelle Entwicklungen machen vor Unternehmenstüren nicht halt. In den meisten Firmen gibt es eine gute und konstruktive Kultur des Umgangs miteinander. In manchen bzw. an manchen Stellen kann ich aber auch immer wieder das Gegenteil erleben: Intrigen, Verleumdungen, Verbreiten von Gerüchten, Machtkämpfe mit unfairsten Mitteln gehören hier zum täglichen Verhaltensrepertoire meist einiger weniger (bis hinauf in die oberste Entscheiderebene). Nicht selten werden die, die sich so verhalten, auch noch als durchsetzungsstark gelobt und erringen dann die Position, die sie ange-strebt haben. Die Mannschaft ist sprachlos und zweifelt an den unternehmens-internen Leitsätzen für Zusammenarbeit und Führung, irgendwelchen Compliance-Regeln und was es sonst noch so gibt – resigniert und zieht sich in die innere Emigration zurück: Die paar Jahre bis zur Rente werde ich auch noch irgendwie überleben … Oder man fängt an, diese offensichtlich Erfolg versprechenden negativen Verhaltensweisen der „Durchsetzungsstarken“ zum eigenen Vorteil zu kopieren. Konstruktive Motivation entsteht so nicht, statt dessen innere Kündigung, jede Menge wirtschaftlicher Verluste, weil das Engagement fehlt und die Arbeitszeit mit anderen, keinesfalls produktiven Aktivitäten gefüllt wird. Führungskräfte und Unternehmer müssen sich fragen, ob sie sich das leisten können und wollen. Ich meine, dass wir gut beraten sind, wenn wir z.B.
- in den Unternehmen dafür sorgen, dass die MitarbeiterInnen immer so gut wie möglich mindestens über die sie betreffenden Inhalte informiert sind,
- immer wieder die Zusammenhänge betrieblichen Geschehens und von Entscheidungen erklären,
- Zuverlässigkeit und daraus entstehend Vertrauen nicht nur postulieren, sondern auch leben,
- uns auch den Charakter der Menschen, die wir in Führungspositionen befördern bzw. die schon in Führungspositionen sind, ansehen, ihre Erfolgsbilanz auch auf das zugrunde liegende Verhalten analysieren und nicht nur die Fachkompetenz in die Entscheidung über die Stellenbesetzung einbeziehen,
- wir endlich begreifen, dass es nur durch Miteinander und nicht Gegeneinander geht bzw. der Erfolg größer ist, wenn man die destruktiven Energien in das Erreichen positiver Ergebnisse umlenkt.
Bedenken Sie: Ein Organisationssystem nimmt alle Anstöße auf und macht etwas daraus, setzt gute oder schlechte Impulse. Was sich da draußen an kulturellem Wandel abspielt, macht nicht halt vor den Türen unserer Unternehmen. Somit empfiehlt sich, wachsam zu bleiben und der Erosion von Wertesystemen im Unternehmen und anderswo aktiv entgegen zu treten. Wenn Sie eine Außenperspektive bei der Analyse Ihrer Organisation einsetzen wollen – Sie wissen ja, wo Sie uns finden.
Wir blicken also auf ein spannendes Jahr 2017, und ich hoffe, dass der anstehende Bundestagswahlkampf in seiner Form und in den Auseinandersetzungen nichts mit dem gemeinsam hat, was wir gerade in den USA erleben durften. Für das Jahr 2017 wünsche ich Ihnen viel Erfolg und ausreichende Wachsamkeit. Und: Bleiben Sie gesund!
Ihr Thomas Zimmermann
und das Team von synthesis