„Ihr, die ihr alle Angebote fünf Mal vergleicht, ihr, die ihr Stacheldraht im Portemonnaie habt, ihr … – euch allen sei gesagt: Geiz ist wieder geil!“
Als ich diesen Text, mit dem Werbung von einem großen Elektronikmarkt gemacht wurde, im Spätsommer im Radio hörte, habe ich gedacht: Das kann doch nicht wahr sein! Wer hat denn den Bären wieder vor die Tür gelassen? Wo doch bekannt ist, wohin die „Geiz ist geil“-Kampagne geführt hat! Inzwischen ist diese neue Kampagne wieder sang- und klanglos in der Versenkung verschwunden, Gott sei Dank!
Geiz, behaupte ich, ist eines der größten Gifte in der Gesellschaft und gilt völlig zu Recht als eine der sieben Todsünden. Geiz kann man überall antreffen: Bei Einzelpersonen, in Unternehmen (dort besonders gern beim Einkauf), im öffentlichen Bereich, im Einzelhandel. Aber auch im Miteinander, wo gerne mit Feedback, Offenheit, Zuwendung und vielem mehr „gegeizt“ wird.
Wozu führt Geiz?
Enige Auswirkungen seien beispielhaft genannt:
- Im bereits erwähnten Einkauf wird gerne das (scheinbar) günstigste Angebot genommen, ohne es in der Gesamtheit von Preis und Leistung zu würdigen. Man blendet einfach aus, dass Leistung einen Preis haben muss, ebenso die Folgen, die aus dem billigen Angebot entstehen können.
- Im öffentlichen Bereich erhält automatisch das günstigste Angebot den Zuschlag, wichtige Faktoren wie Qualität, Lieferantenerfahrung, Haltbarkeit usw. werden ausgeblendet. Das System ist mittlerweile so pervertiert, dass die Anbieter zu günstig anbieten, um den Zuschlag zu erhalten, und später Nachforderungen stellen oder Termine nicht einhalten oder eine unannehmbare Leistung abliefern. Diese Art von „Sparsamkeit“ ist ein zentraler von mehreren Gründe, weshalb kleine und große Bauvorhaben im öffentlichen Bereich weder rechtzeitig noch zum angebotenen Preis fertiggestellt werden: Elbphilharmonie, Staatsoper Berlin, der BER und nicht zuletzt so mancher Schulbau sind Beispiele dafür (wobei hier auch oft ein „politischer“ Preis eine Rolle spielt). Auch Beschaffungsmaßnahmen aller Art wären anzuführen: Billig ist wichtig, nicht Qualität und Angemessenheit.
- Im Einzelhandel werden Billigprodukte auf den Markt geworfen, angeblich, weil der Kunde solche will. Fragt sich nur, wer zuerst da war: Der Wunsch des Kunden oder das Angebot des Handels? Das führt dazu, dass z.B. im Lebensmittelbereich die Preise dermaßen verfallen, dass eine qualitativ hochwertige Ware zu diesen Konditionen nicht mehr angeboten werden kann. Macht aber nichts, auch der nächste Lebensmittelskandal ist schnell vergessen. Oder bei Kleidung: Häuser wie Primark bieten Kleidungsstücke zu Preisen an, die nur erzielt werden können, weil Menschen in Drittweltländern zu Kleinstlöhnen schuften müssen und Qualität keine Rolle spielt. Dass die Menschen aus diesen Ländern irgendwann mal ihren Produkten in eine (scheinbar) bessere Welt folgen, ist eine fast logische Folge. Von der Rohstoff-verschwendung (statt T-Shirts waschen, einfach wegwerfen, statt ein Gerät reparieren, einfach wegwerfen, Lebensmittel in die Tonne ist schon lange ein Thema) gar nicht zu reden. Wie gehen wir nur mit unserem Planeten um? „Manche Menschen gehen mit der Welt so um, als hätten sie noch eine zweite im Kofferraum!“ sagte vor über 40 Jahren (!) bereits Jane Fonda. Hier richtet Geiz unendlichen Schaden an.
Aber nicht nur auf der materiellen Ebene ist der Geiz zu beobachten, auch in Fragen der menschlichen Beziehungen. Gegeizt wird zum Beispiel mit Feedback: Fragt man Menschen in Organisationen, was sie sich am meisten wünschen, kommt häufig der Wunsch nach Lob, Anerkennung und Feedback: Ich will wissen, woran ich bin, wie ich gesehen werde. Ein besonders bedrückendes Beispiel für den Geiz an Mitgefühl ist der Fall eines alten Mannes, kürzlich vor Gericht verhandelt, der zusammengebrochen vor einem Geldautomaten lag – und keiner half! Die anderen stiegen einfach über ihn drüber, erst der sechste Besucher des Raumes alarmierte die Rettungsdienste, und da war es zu spät: Der Mann verstarb im Krankenhaus. Hier wurde an Mitgefühl in einem besonders drastischen Ausmaß gegeizt. Oder in der Flüchtlingsfrage, Beispiel Familiennachzug, wo es an einer von Menschlichkeit getragenen politischen Lösung fehlt.
Auch im privaten Bereich ist emotionaler Geiz gar nicht so selten: Statt liebevollem Umgang miteinander stehen oft Vorwurfshaltungen im Vordergrund, und wenn es gar nicht mehr geht, lässt man sich eben scheiden. Wenn z.B. Zuneigung nicht einfach zu haben ist, dann eben gar nicht; statt sich anzustrengen und in den anderen Aufmerksamkeit, Verstehen, Bereitschaft zum Verzicht zu investieren, zieht man eben schnell einen Schlussstrich. Die Kollateralschäden an der Seele/Psyche (auch der eigenen) und nicht zuletzt an gemeinsamen Kindern, so vorhanden, werden hingenommen.
Besonders schlimm finde ich, wenn in Organisationen mit persönlicher Begegnung gegeizt wird nach dem Motto: Ein Lob ersetzt die Gehalts-erhöhung, oder man erkauft sich mit der Gehaltserhöhung Ruhe vor dem Wunsch nach Feedback: Wozu Feedback oder gar Lob: Schließlich werden Sie ja für dies Arbeit bezahlt, das muss reichen, nicht wahr? Und außerdem wissen wir ja, was bei (zu viel) Lob herauskommt: Forderungen, Forderungen, Forderungen!
Wenn Geiz doch nicht geil ist, ist dann also Verschwendung das angesagte Verhalten? Sollen wir einfach alles akzeptieren, ohne nachzusehen oder zu prüfen? Ist denn der Schwabe (der ich bin) nun völlig aus der Spur geraten? Nein, natürlich nicht, das geht auch schon aufgrund der den Schwaben genetisch eigenen Sparsamkeit gar nicht. Aber Sparsamkeit ist etwas anderes als Geiz: Sparsamkeit ist bestrebt, Verschwendung zu vermeiden, ist daher überlegt und bezieht immer mehrere Komponenten in die Entscheidung mit ein. Der in vielen Organisationen gängige Spruch: „Hier wird gespart, koste es was es wolle!“ ist eine Umschreibung von Geiz. Würde man die Kosten des sogenannten Sparens erfassen, ergäbe sich ein anderes Bild über den tatsächlichen Preis. Ein sparsamer Mensch wird nicht automatisch das teuerste nehmen oder gar überflüssiges anschaffen, er würde nach dem für seine Zwecke optimalen Preis-Leistungsverhältnis Ausschau halten. Meine bereits in einem früheren Unternehmerbrief mit dem Satz „Ich kann mir die billigen Strümpfe nicht leisten, ich muss die teureren nehmen, weil ich eine arme Kriegswitwe bin“ erwähnte Großmutter hat genau immer das getan: Sie hat Preis und Leistung verglichen und eine für sie und ihre Möglichkeiten richtige Entscheidung getroffen. Natürlich gibt es manches im Internet billiger, dennoch gehe ich zum Einzelhandel oder dem benachbarten Handwerker, weil mir in einer Notsituation dort dann auch geholfen wird. So besehen bekommt der Preis eine andere Perspektive.
Geiz produziert wenige Gewinner und viele Verlierer und ruiniert mittelfristig das System. Geiz preist das Glück des Habens, negiert das Paradigma der Fülle und blendet das wirkliche Sein aus (Erich Fromm: Haben oder Sein). Nun gut, aber wie könnte, wie sollte es anders gehen? Die Welt ist doch nun mal auf Geiz und sparen um jeden Preis ausgerichtet! Mag sein, dass sie – noch – so ausgerichtet ist (vor allem auf der Oberfläche), aber das muss ja nicht so bleiben, zumindest nicht für meine Person. Wenn Sie die materielle Ebene betrachten, können Sie doch auch anders entscheiden:
- Betrachten Sie die Angebote von Lieferanten vor allem unter dem Gesichtspunkt von Preis und Gesamtleistung anstatt nur den Preis. Unglaubliche Mängel entstehen vor allem dann, wenn das Geld dem Lieferanten nicht reicht, um besseres zu liefern. Bezahlt werden Sie immer: Entweder am Anfang oder am Schluss.
- Betrachten Sie ihre Lieferantenbeziehungen auch unter dem Gesichtspunkt der Dauer. Ein Unternehmer in der Immobilienwirtschaft sagte mir mal, dass er nur mit ortsansässigen Handwerkern arbeite, auch wenn diese manchmal teurer seien. Dafür bekäme er aber Qualität, denn die Handwerker würden sehr auf ihr Image in ihrem eigenen Lebensumfeld achten. Und weil er immer dieselben Hand-werker nähme (so lange sie Qualität liefern), gäbe es deutlich weniger Abstimmungsaufwand und Mängel – man kenne sich eben.
- Würdigen Sie die Leistung anderer, indem Sie den Preis ohne Feilschen akzeptieren. Und gestatten Sie sich damit selbst das gute Gefühl, einem anderen damit ein wenig Wertschätzung und Anerkennung für Leistung und Person entgegengebracht zu haben.
Was motiviert Menschen, geizig zu sein und anderen nicht „die Wurst aufs Brot“ zu gönnen? Sieht man einmal von der Situation absoluten Geldmangels ab (wobei übrigens arme Menschen in Relation zu ihren Möglichkeiten oft recht großzügig sind), gibt es in unseren Breiten viele Motive:
- Angst vor (Alters-)Armut
- Vorgaben oder Anerkennung durch Boni, wenn z.B. bestimmte Einsparziele erreicht wurden
- gute Gefühle, wenn man anderen etwas abgenommen hat, was denen (aus eigener Sicht) nicht zusteht, Verlustängste
- das Gefühl, gegen jemand gewonnen zu haben, recht behalten zu haben
- gute Gefühle bei der Betrachtung des Konto- oder Besitzstandes
- v.m.
Geiz entzieht dem Wirtschaftssystem auch den Treibstoff, nämlich das Geld. Durch Sparmaßnahmen erwirtschaften Unternehmen noch höhere Gewinne, die dann oft auf irgendwelchen Inseln gehortet werden, anstatt zu investieren und den Kreislauf am Laufen zu halten. Wieviel entspannter ginge es in unserem Wirtschaftssystem zu, wenn Geiz durch Sparsamkeit ersetzt würde? Und was könnte man mit dem „Inselgeld“ auf der Welt für die Wirtschaft und die Menschen alles bewirken! In einem Vortrag am 5. Dezember 2017 (2. Pariser-Platz-Rede Berlin) sagte der Mitbegründer des Club of Rome und anerkannte Zukunftsforscher, Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: „In der neuen Aufklärung wird Balance zum Prinzip!“ Was nichts anderes heißt als dass wir auf Ausgleich achten müssen, wenn wir und unsere Kinder überleben wollen!
Wie alles hat auch der Geiz seinen Preis. Ich behaupte, dass sich Geiz nicht nur z.B. in der Qualität niederschlägt, sondern auch die eigene Lebensqualität reduziert. Geiz verhindert mannigfaltigen Genuss: Das gute Gefühl, andere fair und gerecht zu behandeln; die Freude zu erleben, die eine (großzügige) Gabe bei anderen auslöst; der persönliche Genuss, wenn man sich „auch mal was gönnt“; die innere Lockerheit, die sich einstellt, wenn man nicht hinter jedem Preis Betrug wittert und nicht jeden Cent dauernd umdreht, obwohl es nicht nötig ist; das Erleben von Geben und Nehmen auf höherem Niveau u.v.m. „Das letzte Hemd hat keine Taschen“, sagte schon meine bereits erwähnte Großmutter, und ein Geschäftspartner rief mir mal zu: „Was haben Sie davon, wenn Sie einmal der reichste Mann auf dem Friedhof sind“? Unser Leben ist, wie wir alle wissen, vergänglich und Besitz lässt sich, zumindest bislang nicht, in die Ewigkeit transportieren. Also, genießen wir doch auch mal anstatt ungenießbar zu sein, gönnen wir anderen ihren Teil und zollen wir ihren Leistungen Respekt, indem wir einen angemessenen Preis akzeptieren und bezahlen.
Kennen Sie Ebenezer Scrooge? Vermutlich ist Ihnen die zentrale Figur des geizigen alten Mannes aus der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens ein Begriff und sein Persönlichkeitswandel in dieser Geschichte ebenfalls. Mein Vorschlag zu Weihnachten für Sie: Werden Sie großzügig (im Rahmen Ihrer Möglichkeiten natürlich!). Verschenken Sie doch dieses Jahr zu Weihnachten nicht nur Sachen, sondern auch ehrliche und aufrichtige Liebe, Aufmerksamkeit, Zuneigung, wenn Sie sonst dafür wenig Zeit investieren oder sogar damit geizen! Der Return on Investment wird Sie überraschen! Seien Sie auch mal großzügig zu sich selbst, indem Sie sich selbst ein schönes Erlebnis oder gute Gefühle durch eine gute Tat gönnen. Es muss nicht eine teure Anschaffung sein, bei der das positive Gefühl in aller Regel schon nach kurzer Zeit der Gewohnheit weicht, es kann auch das Beisammensein mit Ihnen wichtigen und lieben Menschen sein. Denken Sie an die Menschen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen und auf Hilfe durch Geld oder tätige Unterstützung angewiesen sind. Und vielleicht wird es Ihnen ja zur Gewohnheit, wenn das bislang noch nicht der Fall ist …
So wünsche ich Ihnen an Leib und Seele genussvolle Festtage, einen gelungenen Jahreswechsel und für 2018 Gesundheit in allen Bereichen und möglichst oft das gute Gefühl, das sich einstellt, wenn man sparsam und dennoch großzügig ist!
Herzlichen Gruß,
Ihr Thomas Zimmermann
und das Team von synthesis