Sie heißen Wiedeking, Middelhoff oder Mehdorn und blickten uns noch vor kurzem überlegen von den Titelbildern der Manager-Magazine an. Heroen!
Sie heißen Reuter, Schrempp und Sommer und vernichten riesige Unternehmenswerte. Heroen!
Und sie setzen mit waghalsigen Spekulationen ihr Lebenswerk aufs Spiel, so dass Ihnen – wie dem Ulmer Unternehmer Adolf Merckle – nur noch die furchtbarste aller Konsequenzen bleibt. Heroen?
Was ist bloß los mit unseren Helden?
Und wie erklären die sonst so schlauen Unternehmensberater deren Krise?
Führung und postheroisches Management
Über Jahrhunderte gingen viele Menschen und Führungstheorien davon aus, dass herausragende Persönlichkeiten (Führer, Leader, Heroen) mit ihrem Verhalten und ihren herausragenden Leistungen nahezu allein und fast ausschließlich grundlegende Veränderungen zum Guten oder zum Schlechten bewirkt hätten. Und auch heute denken viele: Gäbe es nur DIE richtige Führungskraft, DEN Macher, der sagt, wo es lang geht, DEN Durchgreifer, dann würde sich alles rasch und grundlegend bessern. Drückt die Führungskraft auf den richtigen Knopf, läuft das schon.
Aber: Menschen sind nicht rechenbar.
Schaut man genauer hin, dann wird schnell deutlich, dass auch diese herausragenden Persönlichkeiten immer in Interaktion und oft auch in Abhängigkeit zu anderen stehen und standen. Schon Berthold Brecht hat (nicht nur in einem Gedicht) darauf hingewiesen: Weder konnte Alexander der Große die Schlachten selbst und alleine gewinnen, noch zog Hannibal alleine über die Alpen und natürlich brauchte auch Cäsar Legionen, um Gallien zu erobern (bis auf ein kleines Dorf, wie wir wissen).
Ein Lee Iacocca konnte seinerzeit Chrysler nicht alleine retten und Josef Ackermann generiert nicht alleine die Gewinne der Deutschen Bank. Damit soll die dem einen oder anderen (neben einem ausgeprägten Machtwillen) eigene persönliche Brillanz und Ideengewalt nicht geschmälert werden. So gehört es zweifelsohne zu den herausragenden Verdiensten, dass es diesen Personen gelingt, Visionen zu entwickeln und andere für ihre Ideen zu begeistern. Für den Erfolg einer Unternehmung ist aber nicht allein ein Heroe verantwortlich und ebenso wenig für den Misserfolg. Immer wirkt ein System unterstützend oder behindernd mit. Und dieses ist oft nicht rechenbar und neigt dazu, zu machen, was es will.
Die Globalisierung hat andere Anforderungen!
In einer globalisierten Welt, die ihren Anfang bereits zu Zeiten Dschingis Khans (laut „Wirtschaftswoche“ der „erste Globalisierer“) nahm, steigen die Anforderungen an die Führung aufgrund der zunehmenden Komplexität und Geschwindigkeit. Lange Zeit hat man versucht, nicht nur die Wirtschafts- und Unternehmensrealität einzugrenzen und so überschaubar zu halten – spätestens die aktuelle Wirtschaftskrise hat deutlich gemacht, dass das nicht geht: Die Wirtschaftskrise macht ebenso wenig vor den Grenzen Halt wie weiland die Verseuchung, die vom Kraftwerk Tschernobyl ausging. Ein Entscheider hat in seinen Entscheidungen demnach nicht nur das eigene komplexe Unternehmen im Auge zu behalten, sondern auch den lokalen und den überregionalen Markt, den Wettbewerb, die Mitarbeiterstruktur, die technologischen und demographischen Entwicklungen und vieles mehr.
Vor diesem Hintergrund ist eine Haltung: „Ich sage – ihr macht“ bzw. „Du sagst – wir machen“ nicht mehr möglich und führt meist zwangsweise zum Niedergang. Selbst hochgepriesene Topmanager wie Jack Welch entpuppen sich im Nachhinein als Führungskräfte, die entgegen ihrem Nimbus mehr als genug Fehlentscheidungen mit teilweise katastrophalen finanziellen Folgen trafen, auch dadurch, weil sie ihren Focus vor allem auf einen Ausschnitt des Geschehens (im Falle Welch des Geldverdienens) richteten und andere wichtige Felder (im Falle Welch z.B. die Entwicklung neuer Produkte und die Forcierung des Patentwesens) vernachlässigten.
So verständlich der Ruf nach dem Heilsbringer gerade heute ist (denn der entlastet, da im Besitz der Wahrheit, alle anderen) so unangebracht und fatal ist dieser Ruf. Auf den „Heilsbringer“ lassen sich gut alle Wünsche, Sehnsüchte und auch Ängste projizieren. Allzu leicht enthebt man sich damit der eigenen Selbstverantwortung – der Hero wird’s schon richten. Und allzu oft gibt es dann Personen, die z.B. um der Macht willen diese Heilsrolle gerne übernehmen und, wie zu erwarten, dann nicht ausfüllen können. Wer heute meint zu wissen, wie es weiter geht, ist entweder überheblich oder hat eine eingeschränkte Wahrnehmung. Letztlich stochern alle mehr oder weniger im Nebel, selbst die Institute, deren Fachgebiet die Prognose ist.
Doch das Gute naht!
In der Führung hat die Zeit des postheroischen Managements begonnen: Gefragt sind Führungspersonen, die in hohem Maße in der Lage sind, Komplexität zu verarbeiten und Menschen und Organisationen zu verstehen. Es geht nicht mehr darum, der allwissende und oft auch allmächtige „Held“ vorne zu sein, alles zu wissen (und damit den Mitarbeitern das Denken abzunehmen und sie aus der Verantwortung zu entlassen), es geht darum, auch und gerade als Führungskraft mit Unwägbarkeiten zu leben, Ungewissheiten auszuhalten, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen und die Potenziale der Menschen im Unternehmen zur Gänze zu erschließen. Allzu starke Befehls- und Gehorsamsstrukturen reduzieren in Unternehmen oft die Durchlässigkeit für neue Ideen (egal ob internen oder externen Ursprungs), begünstigen bei den Mitarbeitern den inneren Rückzug und die Resignation und verzichten auf ein gewaltiges Potenzial, das in den Mitarbeitern steckt und auf die Erschließung wartet. Jedes gelungene Start up zeigt, welches Potenzial Menschen zur Verfügung stellen können, wenn sie beteiligt sind und das Gefühl haben, dass ihre Arbeit einen positiven Unterschied bewirkt und ihr gesamtes Können seitens des Unternehmens abgerufen wird. Das Können besteht gerade jetzt darin, auch auf Basis geringer oder gar unzureichender Daten den Mut zur Entscheidung zu finden.
Dazu gehört auch, dass die Interaktion zwischen Führungskräften und Mitarbeitern zentral wird und die eher hierarchische Haltung: „Ich weiß – ihr führt aus“, ersetzt. Das verlangt von der Führungskraft neben einer gewissen fachlichen Kompetenz vor allem, sich selbst zu steuern und zwischen-menschliche Kontakte gestalten zu können. Zu letzterem zählen Fähigkeiten wie Empathie und Zugewandtheit, aktives Zuhören, Authentizität, Grundwissen über Organisationspsychologie u.v.m. Ziel ist es, mit der Kraft und dem Können der gesamten Gruppe Ziele anzusteuern und zu erreichen – aber auch Niederlagen auszuhalten und anschließend eine neue Zielstellung anzugehen. Kontaktqualität ist das Zauberwort der Zukunft: Zwischen den Mitarbeitern und Kunden, aber auch zwischen den Führungskräften und ihren Mitarbeitern. An ihr entscheidet sich maßgeblich der Unternehmenserfolg.
Eine alte Weisheit sagt: „Nur wer sich selbst führen kann, kann andere führen“. Das bedeutet, dass man sich (gerade als Führungskraft) zunächst selbst erforschen, positive Seiten annehmen und Aktionsfelder definieren muss. Niemand ist vollkommen und kaum einer wird es je sein. Ziel ist vielmehr, sich selbst in seinen Glaubenssätzen und Vorannahmen, Stärken und Entwicklungsfeldern kennen zu lernen, eigene Reaktionsmuster zu verstehen und einordnen zu können, eine positive Beziehung zu sich selbst aufbauen und persönliche Visionen zu entwickeln. Ein lebenslanger Auftrag ist der, sich stets selbstreflexiv und selbstliebend weiter zu entwickeln und so auch die Kontaktqualität zu steigern.
Die Führungsrolle hat nicht ausgedient, sie bekommt vielmehr neue und andere und vor allem anspruchsvollere Perspektiven. Impulsgeber, Menschenbegeisterer und faszinierende Persönlichkeiten wird es weiterhin geben, und sie werden auch gebraucht. Führungserfolg wird in der Zukunft aber auch stark davon abhängen, inwieweit Verantwortliche sich mit sich selbst und den unendlich vielen internen und externen Einflüssen auskennen, die für jedes Unternehmen eine Rolle spielen, und damit unter Einbeziehung aller Mitarbeiter umgehen. Eine große Rolle spielt so auch die Fähigkeit, sich schnell mit veränderten Bedingungen konstruktiv auseinandersetzen können. Um von allem nicht weggeschwemmt zu werden, ist ein stabiles Wertesystem, gleichsam als Anker, unabdingbar. Was passiert, wenn ein solches System fehlt oder ausfällt, hat die aktuelle Wirtschaftskrise eindrucksvoll gezeigt.
Wenn Sie an einem Dialog über die Aspekte des postheroischen Managements vor dem Hintergrund Ihrer aktuellen Unternehmensherausforderungen interessiert sind, dann sollten wir ins Gespräch kommen!
Bis dahin – herzliche Grüße!
Ihr
Thomas Zimmermann
Mai 2009