Gerade in Zeiten der Krise lesen und hören wir gerne, wo „wir“, also Deutschland, überall Spitze ist: Wir bauen die besten Autos, haben die meisten Windräder und in Sachen Recycling macht uns weltweit niemand etwas vor. Wir brauen das beste Bier, haben den schnellsten Rennfahrer und die Produkte unserer Maschinen- und Anlagenbauer halten unseren Export seit Jahren hoch. Alles bestens? Nicht ganz. Es gibt da eine Tabelle, auf der sich Deutschland europaweit auf dem fünftletzten Platz befindet, kurz vor der Slowakei, der Ukraine, Bulgarien und Russland. „Immerhin“, werden einige sagen, aber erstrebenswert sollte ein solcher Platz nicht sein, denn es geht um die „Arbeitszufriedenheit in Deutschland“, die das Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen in einer aktuellen Studie vom August 2011 konstatiert und belegt hat. Was uns noch mehr Sorgen als der ohnehin schon schwache Tabellenplatz machen sollte: Der Wert der Arbeitszufriedenheit sinkt seit den 80er Jahren kontinuierlich, so dass eher ein weiteres Absinken als das Einholen der „Tabellenführer“ Dänemark, Schweiz und Finnland wahrscheinlich ist. Woran liegt das schlechte Abschneiden?
Schauen wir zunächst auf weitere interessante Ergebnisse der Studie:
- – Die Arbeitszufriedenheit ist in allen Qualifikationsstufen gesunken;
- – Die Generation 50+, die Mitte der 80-er Jahre noch die zufriedenste Gruppe war, ist jetzt die unzufriedenste;
- – Die Arbeitszufriedenheit ist in Unternehmen ab 2.000 Mitarbeitern am besten, in Unternehmen mit 20<200 MitarbeiterInnen am schlechtesten.
Nun kann der versierte Unternehmer sagen: Was kümmert es mich, so lange die Leute Ergebnisse liefern? Aber das wäre genauso kurzsichtig wie die Aussage: Warum soll ich tanken, das Auto fährt doch noch. Denn wir wissen: Die Arbeitszufriedenheit beeinflusst wesentlich die Arbeitsqualität, das Engagement und vor allem die Bindung an das Unternehmen. Jeder, der in den letzten Monaten nach Fachkräften gesucht hat weiß, dass der Arbeitsmarkt der Qualifizierten immer schwieriger und die Rekrutierung immer teurer und aufwändiger wird. Schon allein deshalb lohnt es, die Ursachen dieser Entwicklung und die Auswirkungen auf Menschen und Unternehmen sowie die Volkswirtschaft zu betrachten und dann zu überlegen, wie im eigenen Unternehmen sinnvoll mit dieser Entwicklung, sollte sie dort beobachtbar sein, umgegangen werden kann.
Darum ist die Arbeitszufriedenheit rückläufig
Die Forscher vermuten, dass Entwicklungen wie Intensivierung der Arbeit in den Betrieben (Arbeitsverdichtung), Probleme der Vereinbarkeit Familie und Beruf, geringe Lohnsteigerungen sowie wachsende Unsicherheit bezüglich der beruflichen Zukunft die Hauptursachen rückläufiger Arbeitszufriedenheit sind. Das ist alles nicht von der Hand zu weisen, erklärt aber nur begrenzt, weshalb bspw. die früher so motivierten älteren Arbeitnehmer nun den Trend nach unten anführen – selbst wenn man berücksichtigt, dass die „Alten“ von damals nicht die „Alten“ von heute sind.
Nach eigenen Beobachtungen und Gesprächen in Unternehmen meine ich, dass vor allem folgende Punkte zur reduzierten Arbeitszufriedenheit beitragen:
- Intensivierung und Verdichtung der Arbeit in den Betrieben,
- Trotz gegenteiliger Beteuerungen oft eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten in der Arbeit,
- rasche Themenwandel, kurze Halbwertzeit von Beschlüssen,
- Unklarheit in Bezug auf Beschäftigungssicherheit und Karriere,
- Unvereinbarkeiten Familie-Beruf, insbesondere durch häufiges Reisen bzw. Versetzungen.
Arbeitsmenge und die Arbeitsdichte hat für viele in Unternehmen und Verwaltung zugenommen, nicht zuletzt durch Personaleinsparungen. Insbesondere die PCs haben dazu beigetragen, dass an den einzelnen Arbeitsplätzen mehr und oft kompliziertere Arbeiten, für die früher mehrere Personen zuständig waren, von einer Person wahrgenommen werden müssen. Durch E-Mail und Internet wurde zusätzlich auch die Erledigungsgeschwindig-keit heraufgesetzt: Immer mehr von immer weniger Leuten in immer kürzerer Zeit. Wenn die Pausen und die Möglichkeiten, das eine oder andere mal etwas langsamer gehen zu lassen, abnehmen, steigt die Belastung mit den bekannten Folgen (siehe Unternehmerbrief 2/2010). Dabei sind Hetze und Hektik keine guten Ratgeber: Alle Studien weisen darauf hin, dass Menschen kurzzeitig unter Druck mehr leisten können. Lässt der Druck aber nicht zwischendurch nach, sinkt nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern auch die Qualität und natürlich die Arbeitszufriedenheit. Eine (oft heimliche) Kapitulation macht sich breit: Ich schaffe das alles nicht mehr. Bildhaft schön illustriert wird die gefühlte Aussichtslosigkeit im Märchen vom Hasen und vom Igel.
Wo viel von wenig Leuten zu erledigen ist, wird, um die Fehlerquoten zu senken und Einheitlichkeit herzustellen, der Zwang zur Standardisierung umso größer. Eigene Gedanken und Vorstellungen können oft nicht eingebracht oder umgesetzt werden, weil dafür schlichtweg keine Zeit ist, keine Ressourcen vorhanden sind oder sie nicht in den Prozess passen. Zwar wird ständig an Gestaltungsfähigkeit und –wille der Mitarbeiter appelliert und diese gefordert, die dafür oft nötige Zeit des Überlegens und Ausprobierens aber nicht gewährt. Wenn dann auch noch persönliche Qualitätsstandards vor lauter Druck auf der Strecke bleiben, führt das zu Unzufriedenheit.
Was heute gültig ist, spielt oft morgen schon keine Rolle mehr. Der rasche Wandel in den Themen ist oft nicht nur technologisch durch Fortentwicklung oder Veränderungen im Markt bedingt, sondern sehr oft auch durch Vorgaben der oberen Führungsebenen: Heute geht es links herum, kaum ist ein neuer Verantwortlicher da (neue Besen kehren gut!), geht es rechts herum, und umstrukturiert wird auch gleich noch. Bloß keine Ruhe, kein Eingewöhnen zulassen, scheint die Devise zu sein. Erfahrene Mitarbeiter sehen das oft gelassen, wissend, morgen geht es wieder anders herum: Ich habe McKinsey überlebt, Boston Consulting und Kienbaum überlebe ich auch noch. Deshalb lohnt es sich ja auch gar nicht, sich zu engagieren oder sich gar auf ein Thema einzulassen und intensiv zu beschäftigen, die Richtung von heute könnte die falsche von morgen sein. Resignation ist dann nicht mehr weit. Unterstützt wird eine solche Haltung oft auch noch durch eine katastrophale Kommunikation in Veränderungsprozessen. Immer wieder passieren hier unglaubliche Fehler, von denen man meint, das Wissen um sie wäre Allgemeingut und sie würden der ferneren Vergangenheit angehören. So findet im Ergebnis seitens der ArbeitnehmerInnen wenig Identifikation mit der Auf-gabe und dem sich einlassen auf die Aufgabe statt, mit den bekannten Folgen.
Ein Job bspw. bei Siemens ist eine Lebensstellung, so hieß es früher oft. Die zugrunde liegende Annahme war (und ist heute oft auch noch), dass es mit der Wirtschaft stets weiter (bergauf) geht. Die Krise von 2009 hat uns deutlich gezeigt, dass dem nicht so ist. Zwar haben vorausdenkende Unternehmen ihre MitarbeiterInnen auch in der Krise gehalten, unterstützt u.a. durch die Kurz-arbeitsregelungen der Bundesregierung, aber für viele Beschäftigte eröffnete sich dennoch der Blick in den Abgrund. Die Zahl der Krankmeldungen sank rapide (leider auch bei wirklich Kranken), die Angst um den Arbeitsplatz wuchs. Und ein neuer Begriff entstand: Prekäre Arbeitsverhältnisse. Wer nicht gerade über die besonders gesuchten Qualifikationen verfügte und vielleicht auch schon etwas älter war bzw. ist, versuchte aus dem Rampenlicht heraus zu kommen und sich mehr in eine Nische zu verdrücken. Wegducken ist die angesagte Übung. Das alles steigert allenfalls eine destruktive Angst, und keinesfalls die Arbeitszufriedenheit und schon gar nicht die Qualität. Zwar ist heute die Rede davon, dass man die Älteren für den Arbeitsmarkt brauche, erfahrbar ist das bislang nur für wenige besonders gefragte Qualifikationen.
Beklagt wird oft eine rückläufige Geburtenrate, und die Statistik unterstützt diese Klage. Tatsache ist, dass immer mehr Frauen in ähnlicher Weise wie die Männer berufstätig sein wollen und die Geburt des ersten Kindes, wenn überhaupt an Kinder gedacht wird, nach hinten verschieben. Die vielfältigen Schwierigkeiten, die sich für junge Eltern im Hinblick auf die Betreuung der Kinder ergeben, zumal wenn beide Elternteile arbeiten wollen und oft auch müssen, sind allenthalben bekannt. Wirksame Abhilfe ist nach wie vor kaum in Sicht. Hinzu kommt die oft geforderte räumliche Flexibilität der Beschäftigten, der man vielleicht noch nachkommen kann, so lange die Kinder nicht die Schule besuchen, danach wird es schon schwieriger. Anderes gilt für die pflegebedürftigen Eltern: Wer nicht in der Lage ist, die horrenden Pflege-kosten zu begleichen, wird und muss die alten Menschen neben der eigenen Berufstätigkeit selbst pflegen, ohne Zweifel für die meisten eine weitere Belastung. Je größer also die Unvereinbarkeit von privaten Zielen und Aufgaben mit dem beruflichen Kontext, desto geringer die Zufriedenheit am Arbeitsplatz: Es zerreißt einen schlichtweg.
Die Arbeitszufriedenheit kann gesteigert werden!
Wo sind Ansatzpunkte, um die Arbeitszufriedenheit im Unternehmen (und der öffentlichen Verwaltung) zu fördern und so wieder in den Genuss der gesamten Leistungsfähigkeit und des Leistungswillens der MitarbeiterInnen zu kommen? Gefragt sind hier beide Seiten: Unternehmen genauso wie Beschäftigte.
Führungskräfte in Unternehmen können bspw. darauf achten, dass die Anhäufung und Dichte von Aufgaben an einzelnen Stellen nicht zu groß wird und für eine andere Verteilung sorgen. Geht nicht, keine Leute? O.K., aber wie werden Sie dann den möglichen, durch Überlastung hervorgerufenen (langzeitigen) Ausfall von zentralen Personen verkraften, wie werden Sie damit umgehen? Überlegt werden könnte auch, wie MitarbeiterInnen durch Schulung oder andere Maßnahmen unterstützt werden könnten, wo deren Grenzen sind und die Überforderung beginnt, oder wie die Arbeit ggf. anders verteilt werden könnte. Schulung und persönliche Weiterentwicklung müssen zur Unternehmenskultur entwickelt und dürfen nicht als „Zuckerl“ entwertet werden. Aussagen wie: „Ich bin schon 52 und gehe ohnehin bald in Rente, da lohnt die Schulung nicht“ (Originalton!) sind nicht tolerabel.
Der rasche technologische Wandel ist nun einmal da, befeuert auch durch die Globalisierung. Davon kann sich niemand, der im Markt bestehen will, frei machen. Wenn schon dieser Wandel also nicht vermeidbar ist und ein sich sperren die Existenz der Unternehmung gefährden kann – in der eigenen Organisation kann man durchaus für einen gewissen Zeitraum Stabilität herstellen. Es muss nicht jährlich oder bei jedem Wechsel der Führungskraft eine kostenverursachende Umorganisation stattfinden, wenn man die Prozesse vorher gut durchdenkt und eine gewissenhafte strategische Unternehmens-planung betreibt. Der Wunsch nach Sicherheit und Stabilität ist nämlich in den allermeisten Menschen ganz tief verankert und spiegelt sich z.B. in Sesshaftigkeit und der Pflege von Ritualen wider. Auch sind manche Prozesse in Unternehmen nicht zielführend – auch hier kann mal ein scharfes Auge darauf geworfen werden: Muss das alles so sein, wie es gemacht wird, oder kann es einfacher gemacht werden oder besser: abgeschafft werden?
Der erwähnte Wunsch nach Sicherheit macht es vielen Menschen schwer, sich den Unwägbarkeiten des Arbeitsmarktes zu stellen. Gerade in Deutschland sind wir nach so vielen Jahren des kontinuierlichen Wachstums gar nicht gewohnt, überhaupt oder zumindest ab und zu den Arbeitsplatz zu wechseln. Eine lange Unternehmenszugehörigkeit ist nach wie vor für viele erstrebenswert. Was vielen Menschen fehlt ist sowohl Gefühl als auch Wissen, dass es besonders heute nicht unbedingt „normal“ ist, sein ganzes Leben an einem Ort, in einer Organisation zu verbringen. Im Leben gibt es (außer dem Sterben) keine Garantien, alles kann sich stets und ständig ändern. Die Selbstverständlichkeit des Wechsels scheint nur den Amerikanern und vielen anderen Völkern klar zu sein, ebenso die damit verbundenen Unwägbarkeiten. Gesehen werden oft auch nicht die Chancen für einen selbst und die Familie, die z.B. in einem Wechsel des Ortes und der Perspektiven stecken. Reisen bildet – und Stellenwechsel oft auch. Damit soll aber nicht den Job-Hoppern das Wort geredet werden.
Für die Arbeitszufriedenheit sind aber nicht nur die Unternehmen und die Führungskräfte zuständig. Es gibt nach wie vor auch die Selbstverantwortung des Einzelnen. Führungskräfte können (und sollen) Wege bahnen, beschreiten muss sie letztlich jeder selbst, und manch einer muss etwas nachdrücklicher aufgefordert werden.
Die Gründe für den Rückgang der Arbeitszufriedenheit sind vielfältig und oftmals auch sehr individuell. Die vorstehenden Ausführungen beleuchten deshalb nur einen Teil der Möglichkeiten. Hier muss in den Organisationen individuell nachgeforscht werden. Denn in einem besteht sicher Einigkeit: Eine geringe Arbeitszufriedenheit unterstützt das Bestehen im Wettbewerb keinesfalls, ganz im Gegenteil. Deshalb sollte sich jede Organisation und insbesondere die dort tätigen Führungskräfte damit auseinandersetzen und – Sie haben es sicher schon erraten – synthesis kann Sie dabei mit langjähriger Erfahrung und erprobten Instrumenten unterstützen.
Ich wünsche Ihnen einen in jeder Hinsicht goldenen Herbst und damit ein gutes Jahresergebnis,
herzliche Grüße, Ihr
Thomas Zimmermann