„Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“ Albert Einstein

„Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“ Albert Einstein

Ein Bauer in einem Dorf galt als bessergestellt, denn er besaß ein Pferd, welches er in der Feldarbeit einsetzen konnte. Eines Tages lief es davon, und der Bauer und sein Sohn mussten die Feldarbeit nun eigenhändig verrichten. Die Nachbarn bedauerten den Mann für den Verlust des Pferdes. Der Bauer aber sagte nur: „Man wird sehen.“
Eine Woche später kam das Pferd zurück und brachte eine ganze Herde wilder Pferde mit. Die Nachbarn beglückwünschten den Bauern zu dieser Herde und dem neu gewonnenen Reichtum, aber dieser sagte nur: „Man wird sehen.“
Der Sohn des Bauers versuchte, die wilden Pferde einzureiten. Eines warf ihn ab und er brach sich ein Bein. Die Nachbarn drückten dem Bauern gegenüber ihr Mitgefühl über diesen Unfall aus, aber dieser meinte nur: „Man wird sehen.“
Ein paar Tage zogen die Werber des Königs durch das Land, um junge Männer als Soldaten zu rekrutieren. Den Sohn des Bauern wollten sie wegen des gebrochenen Beines nicht. Die Nachbarn gratulierten dem Bauern dazu, dass sein Sohn nicht in den Krieg ziehen musste, und der meinte: „Man wird sehen.“

Wer weiß das schon?

Diese Geschichte aus dem Zen passt recht gut zur aktuellen Situation in unserem Land und in unseren Unternehmen. Während in der Geschichte die Nachbarn sich in Interpretationen der Situation ergehen, bleibt der Bauer ruhig, geht seiner Arbeit nach und nimmt die Dinge, wie sie sind. Er weiß, dass es besser ist, der Zukunft offen gegenüber zu treten, aufmerksam zu sein, um dann, je nach Entwicklung, passend agieren zu können. Dabei kann allerhand passieren, zum Beispiel ein Sturz vom Pferd, aber auch so etwas kann sich zu einem Vorteil wenden.

Und wie ist es heute?

Was ist die aktuelle Situation? Die Situation ist, dass wir alle und die Welt mit Corona einen Schlag erlitten haben, den nur wenige vorhergesehen (und davor gewarnt) hatten und sich vorstellen konnten, obwohl, so sagen Zukunftsforscher, man bei Corona nicht von einem „unabsehbaren Ereignis“ sprechen könne. Es gab ja Notfallpläne, allein, sie wurden nicht ernst genommen, sie wurden vielmehr belächelt. Wir lecken jetzt die Wunden, diskutieren über die Ursachen, stellen, wie immer mit großem Engagement, die Schuldfrage und wünschen uns, dass es doch bald wieder so werden soll wie früher. In unserer Hilf- und Erfahrungslosigkeit mit Krisen dieses Ausmaßes versuchen wir mit Mitteln von gestern die Probleme von heute für eine Zukunft von morgen zu lösen. So verständlich dieses alles sein mag, so wenig bringt uns das weiter, und insgeheim wissen das auch alle. Nur wahrhaben wollen wir das nicht so gern, denn sonst müssten wir uns eingestehen, dass die Zukunft voll ist mit Unwägbarkeiten und ungelösten Fragen, die nach neuen Herangehensweisen verlangen (ein wenig davon ist hier und da schon zum Einsatz gekommen). Unsere Zukunft ist in einem Maße unsicher, wie wir es nicht gewohnt sind und verursacht deshalb Ängste, die viele kaum ertragen können. Der Bauer würde an dieser Stelle wahrscheinlich sagen: „Man wird sehen.“

Also schauen wir mal genauer hin, was sehen wir dann?

Die Krise wird bleiben

Wir werden uns darauf einrichten dürfen, dass es in einigen Monaten oder Jahren entgegen der Meinung von Politikern und einigen „Fachleuten“ nicht „vorbei sein“ wird. Denn das ist, behaupte ich, ein Irrtum, selbst wenn es demnächst gelingen sollte, einen wirksamen Impfstoff oder Medikamente gegen Corona zu entwickeln, erfolgreich anzuwenden und damit weitere Wellen auszuschalten. Ein „Ende“ wird es deshalb nicht geben, weil nach Covid-19 ein Covid-20 oder eine Umweltkatastrophe oder irgendetwas anderes kommen wird. Die Bedrohung durch ansteckende Krankheiten, Terror, Naturkatastrophen oder anderes wird nie aufhören, sondern vielleicht in der Frequenz sogar häufiger sein. Die nächste Herausforderung lauert ja seit Jahren vor den Toren Europas.

Ich nehme also an und gehe davon aus, dass es nirgendwo wieder so wird wie früher, weder in unseren Unternehmen noch in unseren sozialen Beziehungen noch in unserem Land. Denn wir werden es auch künftig immer wieder z.B. mit weltumspannenden Erregerwellen zu tun haben, wie das auch bisher schon der Fall war mit dem einzigen Unterschied, dass diese uns bislang in aller Regel nicht oder kaum real erreicht haben. Diese Entwicklung verdanken wir u.a. der Globalisierung, die kaum zurückzudrehen sein dürfte, und natürlich unserem Umgang mit der Natur. Es kann deshalb nicht ausge-schlossen werden, dass diese Wellen in kürzeren Abständen zu uns kommen werden als früher. Das bedeutet, dass wir in wahrscheinlich allen Lebensbereichen und auch in der Wirtschaft immer wieder oder sogar dauerhaft mit Einschränkungen und vielleicht sogar tiefer gehenden Veränderungen unseres bisherigen Lebens bzw. unserer Gewohnheiten werden leben müssen.

Widerstandsfähigkeit entwickeln

Aber „wir schaffen das“: Erinnern Sie sich vielleicht noch, dass in Flugzeugen früher geraucht wurde? Gibt es schon lange nicht mehr, und alle haben sich daran gewöhnt. Oder dass man nach 9/11 keine Flaschen mehr durch die Sicherheitskontrollen an den Flughäfen (und nicht nur dort) mitnehmen darf? Auch daran haben wir uns gewöhnt, genauso wie an die Sicherheitskontrollen selbst. Für die Jüngeren: Es gab eine Zeit, in der man nicht einen einzigen Polizisten auf Flughäfen sah, ehe der RAF-Terror Anfang der 70er alles anders machte. Wer weiß, vielleicht wird man irgendwann Filme sehen, in denen die Menschen ohne Maske über die Straßen gegangen sind, und dann wird man sagen „Weißt Du noch … ?“ Wir werden aber nicht nur einschränkende (oder als so empfundene) Veränderungen hinnehmen (müssen), sondern in Folge auch neue Wege und Möglichkeiten entdecken! Und: „Für künftige Krisen wird es entscheidend sein, eine Widerstandsfähigkeit auszubilden, die über den Überlebensimpuls hinaus geht, so dass Organisationen nicht nur reagieren, sondern auch aktiv handeln und gestalten können“ (siehe Benjamin Stromberg bei haufe.de). Wenn wir also an den Infektionswellen als Land wie als einzelne Menschen zumindest scheinbar nichts ändern können, was bleibt uns dann übrig, wie können wir uns vorbereiten?

Die Dinge annehmen

Der Bauer hat seine Situation genommen, wie sie sich darbot. Uns bleibt, unsere Fähigkeit zu flexiblem Agieren zu stärken und auszubauen. Dazu zählt nicht nur die Bevorratung mit Toilettenpapier, Atemmasken und Lebens-mitteln, sondern auch die Arbeit an unseren Einstellungen zum Leben, insbesondere an unseren Sicherheitsbedürfnissen. Uns bleibt auch, uns immer wieder klar zu machen, dass es im Leben viele Krankheitsrisiken (z.B. Krebs, Sepsis, Herz-Kreislaufkrankheiten) gibt, die mit höherer Wahrscheinlichkeit zu schweren Krankheitsverläufen und auch Tod führen, als Corona – und gegen die wir uns nicht jeden Tag schützen (können). Uns bleibt, unsere eigene Resilienz zu stärken. Und uns bleibt, dass wir uns endlich einer Aufgabe stellen, die sich uns seit Jahrzehnten stellt und seit Jahrzehnten nicht bearbeitet wird: Den Blick auf die Zustände in der Welt zu lenken, Maßnahmen zu ergreifen, die Ungleichgewichte zu reduzieren und die Natur und das Klima zu schützen – bevor alles noch schlimmer wird!

Warum handeln wir so wie wir handeln?

Schnell geschrieben, schwer getan. Der studierte Ingenieur und promovierte Sozialpsychologe Geert Hofstede (1928 – 2020) hat sich mit Kulturwissenschaften beschäftigt und fand in jahrelanger Forschungsarbeit heraus, welches gesellschaftlich verankerte Kulturverhalten in einer Region bzw. einem Land wesentlichen Einfluss auf Organisation und Führung in den dortigen Unternehmen haben. Er entwickelte zunächst fünf Kulturdimensionen, zu der später eine sechste dazu kam, und wies die Auswirkungen der ersten fünf Dimensionen auf Unternehmen und Führung in einer umfangreichen Untersuchung des damals weltweit tätigen IBM-Konzerns von 1967 – 1973 nach.

Die sechs Dimensionen mit ihren jeweiligen Polen nach Hofstede sind:
  • Machtdistanz: Wie stark akzeptieren weniger mächtige Individuen eine ungleiche Verteilung von Macht? Hohe Machtdistanz steht dafür, dass Macht sehr ungleich verteilt ist (einer macht die Ansage), geringe Machtdistanz steht dafür, dass Macht gleichmäßiger verteilt ist.
  • Individualismus vs. Kollektivismus: Ein hoher Index signalisiert, dass die Rechte des Individuums stark geschützt werden, bei einem niedrigen dominiert die Integration in jeder Art von Netzwerken.
  • Maskulinität vs. Feminität: Herrschen maskuline Werte wie Konkurrenzbereitschaft und Selbstbewusstsein vor oder feminine Werte wie Fürsorglichkeit, Kooperation und Bescheidenheit?
  • Unsicherheitsvermeidung: Wie hoch ist die Abneigung gegenüber unvorhergesehenen Situationen? Hoch: Viele Gesetze, Richtlinien, Sicherheitsmaßnahmen. Niedrig: Mehr Toleranz, Akzeptanz, weniger und leicht veränderbare Regeln.
  • Lang- oder kurzfristige Ausrichtung: Wie groß ist der zeitliche Planungshorizont einer Gesellschaft? Kurz-, mittel- oder eher langfristig?
  • Nachgiebigkeit und Beherrschung: Sie beschreibt das Erreichen von Glück durch die Wahrnehmung von Kontrolle über das eigene Leben und die Wichtigkeit von Freizeit und Muße.

Es gibt eine Weltkarte, die zeigt, wie die ersten fünf Dimensionen in den meisten Ländern der Welt ausgeprägt sind. Dabei können wir (fast erwartungs-gemäß) feststellen, dass in Zentraleuropa die Machtdistanz gering, der Individualismus (vor allem im Norden) hoch, die Maskulinität ebenfalls hoch und die Unsicherheitsvermeidung eher ungleichmäßig verteilt ist, was auch für die lang- und kurzfristige Ausrichtung gilt. Folgt man dem Modell von Hofstede, so wird schnell ersichtlich, wie herausfordernd die Bewältigung dieser weltumspannenden Corona-Krise ist.

So können wir es meistern!

Aber bleiben wir in unserem Land, in unserer Gesellschaft und in unseren Unternehmen. Wenn man davon ausgeht (und ausgehen kann), dass bei uns die Machtdistanz gering und der Individualismus hoch ist, maskuline Werte immer noch die femininen überlagern, die Unsicherheitstoleranz bei den Menschen sehr gering ist („german angst“) und wir uns (außer bei der Baufinanzierung) mit mittel- und langfristigem Denken schwer tun, so erhebt sich für Unternehmer wie Beschäftigte die Frage: Wie auf der Basis dieses Tableaus an die Zukunft herangehen? Ein paar Vorschläge für uns alle habe ich im letzten Unternehmerbrief bereits gemacht, hier noch ergänzend: Fragen Sie sich: Was habe ich über mich und mein Umfeld in der Krise gelernt? Lernen Sie, Ihre Angst genauer anzusehen, zu bewerten und (besser) zu kontrollieren, die (berechtigten) Unsicherheiten zu akzeptieren („Man wird sehen“) und aufmerksam mit offenem Herzen auf die Dinge und Situationen zuzugehen. Vielleicht kommt ja eine „Herde Wildpferde“ vorbei?

Systemisches Denken ist gefragt

Die Bundeskanzlerin sprach im März von der größten Herausforderung, vor der unser Land seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges steht. So, wie sich die wirtschaftliche (und auch die atmosphärische) Lage entwickelt hat, stimme ich ihr vorbehaltlos zu. Und wie sind die Männer und vor allem Frauen 1945 ff. der damaligen Herausforderung des Wiederaufbaus entgegengetreten? Sie haben angepackt, kreative Lösungen gesucht und gefunden und wenig Gedanken darauf verschwendet zu überlegen, was alles Schlimmes passieren könnte. Denn das Schlimmste hatten sie schon hinter sich. Unsere Ausgangssituation ist heute ungleich besser als die von 1945: Uns stehen Produktions-mittel, beste Technologie, sehr gut ausgebildete Menschen, eine funktionier-ende Demokratie in einem funktionierenden Staat, internationale Kontakte und Handelsbeziehungen u.v.m. zur Verfügung. Wenn wir diese Ressourcen nutzen und damit die Folgen der Krise beseitigen wollen, können wir dies aber nur mit Menschen bewerkstelligen, die pragmatisch mit der Gegenwart und zuversichtlich und positiv mit der Zukunft umgehen! Eins kommt allerdings noch hinzu: Wir werden nicht umhinkommen, unser monokausales und lineares Denken hin zum systemischen Denken zu erweitern.

Was meine ich damit?

Hier meine Vorschläge für Unternehmer und Führungskräfte:
  • Entwerfen Sie verschiedene Szenarien, die für Ihr Business in Frage kommen, nicht nur eine. Beobachten Sie ständig ihren Markt/ihre Märkte, damit Sie zeitnah justieren und agieren können! Wechseln Sie von statischer in rollierende Planung! Bedenken Sie: Egal, was Sie machen, alles ist risikobehaftet – selbst Nichtstun!
  • Überlegen Sie, wie und wo Sie ihr Angebot den sich verändernden Marktbedingungen anpassen bzw. was Sie neu entwickeln können. Dabei bitte immer die Boston-Consulting-Matrix im Kopf behalten: Neue Produkte in neue Märkte = 80% Flopwahrscheinlichkeit!
  • Integrieren Sie bei Planungs- und Entwicklungsarbeiten die Mitarbeiter*innen, die sich in den letzten Wochen besonders engagiert gezeigt haben! Nutzen Sie die Weisheit der Vielen!
  • Achten Sie bei Neueinstellungen verstärkt auf die Resilienzfähigkeit von Kandidat*innen. Mit Menschen, die bei etwas heftigerem Wind umfallen, sollten Sie keine entscheidenden Positionen besetzen.
  • Betrachten Sie alle Prozesse im Unternehmen: Was hat in den letzten Wochen funktioniert, was hat sich aus der Not heraus neu etabliert und bewährt, wo sind Veränderungen erforderlich?
  • Was haben Ihnen die Mitarbeiter*innen durch ihr Verhalten zum Thema Führung beigebracht, und wie können Sie die positiven Elemente in ihr Unternehmen integrieren?
  • Reduzieren Sie die Machtdistanz (weiter), fördern Sie die femininen Werte (s.o.) und die Eigenständigkeit. „Will eine Organisation beweglich sein, müssen sich die Menschen bewegen dürfen und können“ (Benjamin Stromberg, s.o.).
  • Lieferketten, Kooperationen, Vertriebswege: Reicht die Flexibilität aus, um schnell auf Veränderungen reagieren zu können? Passen diese Prozesswege zu den angedachten Szenarien?
  • Wo sehen Sie Möglichkeiten, ihr Business in der Zukunft weniger anfällig und ein wenig mehr krisenfest zu machen?
  • u.v.m.

In Köln sagt man: „Et hätt noch immer jut jejonne!“ Um Mut zu haben, sich auf neues Territorium zu begeben, kann die Weisheit dieses Satzes sehr helfen. Und wenn Sie Ihre Erkenntnisse und Ihren (neuen) Weg einmal reflektieren und überprüfen wollen – Sie wissen ja, wo Sie uns finden!

Herzliche Grüße und viel Erfolg,

Ihr

Thomas Zimmerman
und das Team von synthesis